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Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)

Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)

Titel: Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
Autoren: Jenk Saborowski
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an. Der Tabak knisterte, als er den ersten Zug nahm. Paul hustete und gab Solveigh die Packung zurück.
    »Man sollte nie mehr als eine Zigarette am Tag rauchen«, sagte Solveigh und trat die Kippe aus.
    »Man sollte überhaupt nicht rauchen«, sagte Paul Regen. »Nicht gut für den Genpool.«
    Er starrte in die milde Abendsonne und dachte an das, was sie in der Scheune erwartete. Die Kollegen hatten das Gebäude vor fünf Minuten für sicher erklärt, es gab keine Sprengfallen oder Ähnliches. Die Gefahr für Leib und Leben war gebannt. Aber die Männer, allesamt Polizisten, die einige Leichen in ihrem Berufsleben gesehen haben dürften, kamen mit bleichen Gesichtern aus der Dunkelheit. Neben Paul Regen stützte sich einer auf sein Sturmgewehr und schnappte nach Luft. Das Betreten der Scheune barg eine Gefahr für die Seele. Trotzdem musste Paul mit eigenen Augen sehen, was Ezequiel Mota, so der Name des Täters, angerichtet hatte. Wofür so viele Menschen hatten sterben müssen. Paul Regen hatte oft versucht, sich das Schachbrett vorzustellen. Er war sich sicher, dass die Realität viel schlimmer sein würde als seine Phantasie. Mit der Rettung von Ioana fing die Arbeit erst richtig an. In den kommenden Wochen, vielleicht Monaten würden sie das Grauen katalogisieren müssen. Entführungstag, Tötungsjahr, Angehörige. Am Ende der Tour stand eine fein säuberlich ausgearbeitete Tabelle, die das Schreckliche verwaltbarer machen würde. Fassbarer würde die Tabelle das Grauen für Paul niemals machen. Er warf die Zigarette auf den Boden und atmete tief ein. Solveigh kam mit zwei Papieranzügen zurück, die sie zum Zweck der Spurensicherung tragen mussten. Als sie den dünnen Stoff über ihre Kleidung zogen, bot ihm Solveigh einen kleinen Tigel an.
    »Kampferpaste«, sagte sie.
    Paul Regen bedankte sich und strich mit dem Zeigefinger ein paar Milligramm auf die Oberlippe. Dann betraten sie die Scheune.
    Zuerst sah Paul Regen nur Schatten. Schemenhafte Gestalten auf einem riesigen schwarz-weißen Brett. Auf manchen der Gesichter und Körper malten die schmalen Spalte zwischen den Brettern der Wände zackenförmige Lichtstreifen. Ezequiel Mota ließ seine Schachfiguren posieren, zusammen bildeten sie ein grauenerregendes Schauspiel. Trotz des Kampfers hatte Paul Regen den süßlichen Geruch von Leichen in der Nase. Ezequiel Mota hatte seine Methode verbessert, aber es nicht zur Perfektion gebracht. Plötzlich hörte Paul Regen das laute Klacken eines elektrischen Schalters. Scheinwerfer, die überall rund um das Schachbrett auf Stativen standen oder von der Decke hingen, erwachten summend zum Leben. Sie tauchten die Figuren in genau berechnetes Licht. Manche der Lampen strahlten gelblich, andere rot. Genau so hatte Ezequiel sein Kunstwerk konzipiert. Paul sah einen dürren Mann in der Soutane eines Bischofs, mit roten Knöpfen und einer purpurnen Schärpe. Mit beiden Händen streckte er ein Kreuz vor die Brust, sein Gesicht war hasserfüllt und ängstlich zugleich. Paul trat auf ein schwarzes Feld. Es war als kunstvolles Mosaik gearbeitet, verziert mit Ranken und Blüten von Pflanzen. Es musste ihn Jahre gekostet haben, alleine die Intarsienarbeiten fertigzustellen. Paul wurde klar, dass dies das Lebenswerk eines Mannes war. Das Lebenswerk eines Psychopathen. Eine junge Frau kniete hinter ihrem Schwert, den Kopf gesenkt. Sie betrachtete eine Figur am anderen Ende des Brettes. Paul ging in die Knie, um ihren Blickwinkel nachempfinden zu können. Er roch den Muff ihres groben Gewands. Und sah den schwarzen König, der mit ansehen musste, wie ein Mann in der weißen Papstkutte einem Bauern die Kehle mit einem Dolch aufschlitzte. Es sah so realistisch aus, dass Paul förmlich das Blut spritzen sah, obwohl die Klinge noch Zentimeter von der Halsschlagader entfernt war. Die Augäpfel des Königs geweitet in Panik, zwei Felder neben dem Attentäter ein Ritter mit weißem Banner auf dem Wams, bereit, den Königsmord zu vollenden, sollte der Priester nicht schnell genug sein. Paul musste sich daran erinnern, dass es echte Menschen waren, die hier auf dem Brett miteinander kämpften. Die Plastinate sahen aus wie Wachsfiguren, und trotzdem steckte hinter jeder der über zwanzig Figuren ein Schicksal. Solveigh trat neben ihn und flüsterte: »Gespenstisch, nicht wahr?«
    Paul Regen nickte und lief durch die Reihen. Er kannte die Stellung. In den vergangenen Wochen hatte er die Nächte damit zugebracht, die Geschichte des
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