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Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)

Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)

Titel: Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
Autoren: Jenk Saborowski
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schmutzigen Kleidern, um zu demonstrieren, dass sie sich nichts davon leisten konnten. Was, wie Lila vermutete, nicht einmal gelogen war. Ioana begann systematisch an einer Schirmstrebe zu suchen und schob die Plastikkleiderbügel auseinander und wieder zusammen. Lila beobachtete die Frauen. Eine von ihnen zurrte ihre grauen Haare noch fester und legte ihre rechte Hand wieder in eine Schale mit Wasser und Blüten. Lila starrte sie an, erst auf ihren strengen Dutt, dann auf die Schale. Die Frau hob den Kopf, und Lila beeilte sich, hinter einem Vorhang aus Hosen in Deckung zu gehen.
    »Hast du die gesehen?«, flüsterte sie Ioana zu, die unbeirrt Plastikbügel um Plastikbügel durchging.
    »Wen?«, fragte Ioana.
    »Die alte Frau. Großmutter sagt, hier in der Siedlung hätten es manche mit dem Teufel.«
    Ioana lachte, aber Lila bedeutete ihr, leise zu sein.
    »So ein Unfug«, sagte Ioana. »Meine Eltern schreiben mir immer, ich soll nicht alles glauben, was die alten Leute erzählen.«
    »Hast ja recht«, sagte Lila und warf einen letzten verstohlenen Blick durch die Hosenbeine. Die alte Frau murmelte etwas und schien wieder mit sich selbst beschäftigt.
    Lila wanderte hinter Ioana die Stangen mit den Kleidern entlang. Beim ersten Durchgang schloss sie die Augen und fühlte nach den Stoffen. Die weiche Baumwolle, die geriffelte Schurware und die glänzende falsche Seide. Lila hatte noch niemals ein Kleid aus Seide angefasst, aber sie kannte die Beschreibung aus einem Buch. Es war das Zarteste, was man mit Geld kaufen konnte. Und sie würde es sich niemals leisten können. Beim zweiten Durchgang betrachtete Lila die Farben der Kleider, während ihre Finger sich an das Gefühl erinnerten. Ioana hielt ihr ein Kleid nach dem anderen vor die Brust, aber Lila dachte an das Geld und ihre Großeltern. Die meisten Kleider kosteten über fünfzig Lei, so viel wie ein Huhn, das jeden dritten Tag ein Ei legte. Ioana war gerade hinter einem der Vorhänge verschwunden und suchte etwas Günstigeres, als Lila spürte, wie plötzlich jemand hinter sie trat. Sie drehte sich um. Dort stand die alte Frau und starrte sie an, ihr Gesicht keine zwanzig Zentimeter von ihrem entfernt.
    »Du suchst ein besonderes Kleid?«
    Lila schluckte. Sie wollte in die Stoffe abtauchen, für immer verschwinden, aber der Blick der alten Frau hielt sie fest. Sie nickte. Wo war Ioana? Lila blickte nach rechts. Dann war die Frau verschwunden, und Ioana tauchte mit einem blauen T-Shirt wieder auf.
    »Wo warst du?«, fragte Lila.
    »Nur dahinten«, sie deutete auf eine Kleiderstange am anderen Ende des Schirms. »Was ist passiert? Du siehst aus, als hättest du einen Werwolf gesehen.« Lila sagte nichts. Sie starrte an Ioana vorbei. Die Frau war zurück. Und sie trug ein schwarzes Kleid unter dem Arm, das auf keiner der Stangen gehangen hatte. Es war aus einem seidig weichen Stoff und wirkte wie aus einer anderen Zeit. Es hatte Ränder mit fein gehäkelten Spitzen und eine rote Schleife um die Taille. Es kostete mit Sicherheit ein Vermögen. Sie drückte es Lila in die Hand.
    »Wer dieses Kleid trägt«, sagte die alte Frau, »wird eines Tages eine Königin sein.«
    Ioana klatschte in die Hände: »Genau das, was wir gesucht haben!«
    »Was kostet es?«, fragte Lila.
    Die alte Frau tätschelte Lila den Arm und legte das Kleid darüber. »Für dich nur zwölf Lei, mein Kind.«
    Nur zwölf Lei? Das war weniger als ein Viertel dessen, was all die anderen Kleider kosteten.
    »Warum ist es so günstig?«, fragte Lila.
    »Alles hat seinen eigenen Preis«, lächelte die Frau und machte sich auf den Rückweg zu ihrem Hocker vor der Hütte. Lila sah ihr nach und betrachtete ihre alten Füße in den sauberen Schuhen, darunter der lehmige Boden. Sie spürte, wie Ioana an ihrem Ärmel zupfte, während die alte Frau ihre Hände in dem Blütenwasser wusch, als hätte sie sich die Hände an dem Kleid schmutzig gemacht. Das Kleid einer Königin, dachte Lila. Vielleicht war die alte Frau doch eine Hexe? Ihre Großmutter behauptete, dass es gute und schlechte unter ihnen gebe. Manche bekämpften das Übel, andere huldigten dem Bösen. Kann der Satan eine Königin schaffen? Lila zog den Hundert-Lei-Schein aus dem Briefumschlag, spürte das Knistern des Papiers zwischen ihren Fingern und betrachtete die alte Frau mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.

KAPITEL 2
Landeskriminalamt, München, Bayern
Donnerstag, 13. Juni 2013, 16.07 Uhr (zehn Tage später)
    Paul Regen schlug den Fisch
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