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Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl
Autoren: Chamäleon Cacho
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Radio, aus dem auf einmal Akkordeonmusik schallte.
    Cacho legte den Gürtel an und trat auf den Hof hinaus. Es roch nach feuchter Erde, und auf den Fliesen schimmerten Pfützen. Der Gartensprenger sprühte in regelmäßigen Abständen Wasser über die Callas, Geranien und das Farnkraut. Die Lampe an der Wand spiegelte sich in den Tropfen auf den Pflanzen.
    Er fühlte sich quicklebendig in dieser Ecke des Hofs und sog die feuchte, nach Erde riechende Luft ein; lebendiger als an jedem anderen Ort. Es war wie nach der Rückkehr aus Buenos Aires; dort, wo der Regen nichts Exotisches hatte, das Klima aber aus anderen Gründen ungesund war.
    Zwischen zwei Pflanzen bemerkte er die silberne Spur, welche die Nacktschnecken hinterlassen hatten, und lächelte; sie kamen immer wieder. Er atmete noch einmal die feuchte Luft ein und schaltete die Wandleuchte aus. Eine simple Vorsichtsmaßnahme; er hatte das Licht nicht gerne im Rücken.
    Die Klingel schrillte noch einmal, trotzdem ließ er sich Zeit, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen.
    Ein tintenschwarzer Himmel, ein typischer Patagonienhimmel, gespickt mit unzähligen kalten Sternen und ohne eine einzige gnädige Wolke, wölbte sich über die Dächer und Mauern um ihn herum.
    »Sehr gut, Bruder«, sagte er laut. »Das Gute an diesem Fleckchen Erde am Arsch der Welt ist, dass man das, was man nicht für Regenschirme ausgibt, in Kondome investieren kann.«
    Er ging den langen Gang entlang, der zur Straße führte. Vor dem Eingang des schon vor langer Zeit geschlossenen Ladens stach ihm ein durchdringender Geruch in die Nase.
    Nach und nach hatte er begriffen, was dort vor sich ging: Die Exkremente der Fledermäuse würden eines Tages die Decke über dem Tresen und den leeren Regalen zum Einsturz bringen. Wie in einem Horrorfilm sah er vor sich Tonnen von Guano, der alte Barhocker, vergessene Kalender und die Überreste einer womöglich goldenen Vergangenheit unter sich begrub.
    Zumindest für die Inhaberin, die in einem anderen Haus die Tage am halb offenen Fenster im Dämmerlicht verbrachte und unaufhörlich Spitzen häkelte, musste sie golden gewesen sein. Für Doña Rosa war Zeit ein geruchloser vertrockneter Kadaver, den sie neben ihren Heiligenbildchen aufbewahrte. Dreißig Jahre der Vernachlässigung, in denen sich die Flügeltiere vermehrten und Exkremente an der Tapete hinterließen, waren lediglich ein Fingerschnippen zwischen ihr und dem einzig Lebendigen, ihrer Vergangenheit.
    Wenn Pater Carlos sich geschickt anstellte, würde ihm Doña Rosa das Haus eines Tages überlassen oder für ein Butterbrot verkaufen.
    »Eine großartige Idee, den Armen Unterkunft zu gewähren. Wenn vorher keine biblische Plage über uns kommt und nicht ein Regen aus Fledermauskacke das Erbe vernichtet … was für ein Gauner, dieser Pater Carlos«, sagte Cacho zu sich, als er sich hinunterbeugte und den Briefschlitz aufklappte.
    Es war unangenehm, in gebeugter Haltung sprechen zu müssen, aber so war es sicherer. Nach Mitternacht machte er ungern jemandem auf.
    »Ja … was ist?«
    »Ich bin’s, Cacho, Orlando«, sagte eine angestrengte Stimme.
    »Was willst du, Orlando? Ich dachte, wir hätten uns geeinigt.«
    Der Lichtstreifen, der durch den Briefschlitz hereinfiel, verschwand beinahe, als sich der Mann draußen mit dem Mund der Öffnung näherte. Er sprach sehr leise und schien trotzdem zu schreien. Außerdem hatte er Mundgeruch.
    »Wo isst du denn, auf dem Friedhof?«
    »Was? Ich … ich hatte Probleme mit dem Rezept, Cacho. Es wurde nicht eingelöst, mach auf, ich erzähls dir.«
    Cacho zögerte und kam zu dem Schluss, dass das keine Falle war, um ihn auszurauben. Orlando wäre zwar dumm genug, es zu versuchen, aber er war auch feige.
    Er zog die Schlüssel aus der Dschellaba, und das Schloss gehorchte mit einem metallischen Klacken. Die Tür war schwer und hoch wie bei einer Kathedrale; und genauso sicher. Er öffnete sie nur so weit, dass Orlando hindurchschlüpfen konnte, und schloss wieder ab, bevor er das Licht im Hof anmachte.
    Orlando war verstört, man sah es seinem schweißüberströmten Gesicht an. Unruhig wanderte sein Blick hin und her, und seine Augen, die etwas zu verbergen schienen, quollen ihm aus dem Gesicht. Cacho griff in eine Tasche und ertastete ein Häufchen Tabletten, beschloss aber, ihm vorläufig nichts zu geben. Nicht, bevor er nicht wusste, was los war und was für einen Cocktail er eingeworfen hatte. Er wollte nicht riskieren, dass der andere hier im
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