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Ich gestehe

Ich gestehe

Titel: Ich gestehe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Während ich diese Zeilen schreibe, müßte ich eigentlich traurig sein.
    Ich sitze allein an der steinernen Balustrade des kleinen Cafés ›Riborette‹ und schaue über die bunten Badezelte und die flatternden Wimpel hinweg, die man über den weiten, in der Sonne flimmernden weißen Strand von Juan les Pins gespannt hat. Das tintenblaue Wasser des Mittelmeeres klatscht träge an den Ufersteinen empor, und die Palmen, Pinien, Zypressen und Maulbeerbäume entlang der breiten Straße und im Garten des Cafés ›Riborette‹ sind ein wenig verstaubt, so still ist der Wind und so heiß brennt die Sonne, als leuchte sie herüber über das Meer, direkt aus der afrikanischen Wüste.
    Ich bin allein, allein mit meinen Gedanken und meiner Sehnsucht, allein auch mit meinem Schmerz, den ich mir selbst zufügte und den ich doch nicht verhindern konnte.
    Gaston hat mich verlassen.
    Es ist ein kleiner Satz, und wie oft hört man ihn aus dem Munde eines unglücklichen Mädchens. Manchmal heißt er Paul oder François, Erich oder Peter, Julien oder Pablo … Und immer wird dieses Mädchen zu Boden blicken und seine Augen werden weinen, wenn es sagt: Er hat mich verlassen.
    Ich weine nicht und sehe nicht zu Boden, ich starre nur über das träge Meer und trinke ein kleines Glas Orangeade, denn im Innern bin ich froh, daß alles so gekommen und Gaston gegangen ist; gestern abend, nachdem er groß und schlank vor mir stand und sagte: »Ma chère, ich gehe nach New Orleans. Übermorgen fährt mein Schiff ab Genua …«
    Nach New Orleans! Und ich habe nichts gesagt, ich habe nur genickt und mich umgedreht und bin in mein Zimmer gegangen. Eine gute Lösung, habe ich mir gedacht, die beste Lösung nach allem, was zwischen uns geschehen ist. Aber im Innern, im Herzen, dort, wo ich glaubte, immer die Liebe zu fesseln, tat es weh, so weh, daß ich die Zähne zusammenbiß, um nicht doch zu weinen wie all die Mädchen, zu denen ein Mann sagt: »Übermorgen geht unser Leben für immer auseinander.«
    Wie das alles gekommen ist? Warum es so sein mußte? Warum es keinen anderen Ausweg gab als die Trennung, diese Flucht nach New Orleans?
    Ach, es ist eine lange Geschichte, und wenn ich sie hier erzähle, so ist es mehr die Beichte einer Frau, die nur nehmen wollte, die immer nur forderte, die unersättlich war in dem, was Leben heißt und die schließlich daran zerbrach, weil ihr das Maß aller Dinge verloren ging in einem Taumel von Glück und Erfüllung, von dem sie dachte, das sei das wahre Leben, das wert sei, gelebt und geliebt zu werden.
    So ehrlich bin ich – wirklich –, ich erkenne mich, als blicke mir im Spiegel nicht mein glattes, schönes Ebenbild entgegen, sondern der Mensch, zerlegt wie auf dem marmornen Seziertisch des Hospitals Necker in Paris. Ein Mensch, nicht nur bestehend aus Muskeln, Knochen, Häuten, Venen, Arterien und Drüsen, sondern ein Mensch, der in geheimnisvoller Art in seinen Nerven noch die Seele trägt und sie jetzt bloßlegt vor den Augen der staunenden und entsetzten Vivisektoren.
    Gaston – wer ihn kannte, mußte ihn lieben. Dieser Dr. Gaston Ralbais, Chirurg aus Paris, Erster Oberarzt bei Prof. Dr. Bocchanini, war ein Mann.
    Hier könnte ich eigentlich aufhören, weitere Dinge in Worte zu kleiden. Was gibt es Umfassenderes, Deutlicheres und Bestimmenderes als dieses Wort Mann? Es schließt ein ganzes Leben ein, es ist ein Wort des Schicksals, es kann Himmel und Hölle bedeuten, Freude und Leid, Glück und Entsetzen, Liebe und Haß, Seligkeit und Trauer. Alles, alles ist in diesem Wort verborgen, quillt aus ihm hervor wie die Wundergaben aus dem Füllhorn der Aurora … Ach, welch ein Wort, welch eine ganze Welt: Mann!
    Mir wurde es zum Verhängnis, dieses Wort, weil es Dr. Gaston Ralbais verkörperte mit all dem hinreißenden und willenlos machenden Charme, dem wir Frauen erliegen, kaum, daß er unser Bewußtsein trifft und uns innerlich zittern und erbeben läßt.
    Seine Augen, die kleinen Fältchen in den Augenwinkeln, die schmalen Lippen vor dem herrischen Mund, die etwas gebogene, schmale Nase in diesem braunen, manchmal asketisch wirkenden Gesicht, dessen heftigster und schönster Ausdruck seine Augen waren, diese braunen, großen, strahlenden Augen, die mich ansahen und unter denen ich wegschmolz und willenlos wurde.
    Bis gestern. Gestern abend, als er in den Salon des Hotels trat und zu mir sagte: »Ich fahre.« Da waren seine Augen kein Geheimnis mehr, da verloren sie die Kraft der Suggestion auf
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