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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Kain und Abel
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auf die Brust gelegt, eine Weile an.
    »Großer Gott«, sagte sie und bekreuzigte sich. Der Junge suchte im Gesicht seiner Mutter nach einem Anzeichen von Freude oder Ärger. Ihr Blick verriet jetzt eine Zärtlichkeit, die der Junge noch nie an ihr gesehen hatte. Da wußte er, daß das, was er getan hatte, gut war. »Ist es ein Baby, Matka?«
»Es ist ein kleiner Junge«, sagte seine Mutter und nickte sorgenschwer. »Wo hast du ihn gefunden?«
    »Unten am Fluß, Matka«, sagte er.
»Und die Mutter?«
»Tot.«
    Wieder bekreuzigte sie sich. »Lauf rasch zu deinem Vater und sag ihm, was geschehen ist. Er soll Urszula Wojnak holen, sie ist auf dem Gut; du mußt sie beide zu der Mutter führen und nachher hierherbringen.«
    Der junge Jäger gab den kleinen Jungen seiner Mutter und war froh, daß er das kleine schlüpfrige Wesen nicht hatte fallen lassen. Von seiner Beute befreit, rieb er die Hände an der Hose sauber und lief aus dem Haus, um seinen Vater zu suchen.
    Die Mutter schloß mit der Schulter die Tür und rief ihrem ältesten Kind, einer Tochter, zu, den Kochtopf auf den Herd zu stellen. Sie selbst setzte sich auf einen Holzschemel, knöpfte die Bluse auf und schob ihre müde Brustwarze in den kleinen faltigen Mund. Sophia, ihre sechs Monate alte Tochter, würde heute ohne Nachtessen auskommen müssen; und der restlichen Familie würde es nicht anders ergehen.
    »Und warum?« fragte die Frau laut und legte ein Tuch um das Kind an ihrer Brust. »Armer kleiner Wurm, morgen früh wirst du ja doch tot sein.«
    Aber als die alte Hebamme Urszula Wojnak spätabends den kleinen Körper wusch und den Stumpf der Nabelschnur versorgte, wiederholte sie diese Worte nicht. Schweigend stand ihr Mann daneben und beobachtete die Szene.
    »Wenn ein Gast ins Haus kommt, kommt Gott ins Haus«, sagte die Frau; es war ein altes polnisches Sprichwort.
     
    Der Mann spuckte aus. »Zum Teufel mit ihm. Wir haben genug eigene Kinder.«
     
    Die Frau tat so, als hörte sie ihn nicht, während sie das dunkle dünne Haar auf dem Kopf des Kindes streichelte.
     
    »Wie wollen wir ihn nennen?« fragte sie und schaute zu ihrem Mann auf.
     
    Er zuckte die Achseln. »Wen kümmert’s? Er kann auch namenlos begraben werden.«

18. April 1906 Boston, Massachusetts
    Der Arzt hob das Neugeborene an den Knöcheln hoch und gab ihm Klapse auf das Gesäß. Das Neugeborene begann zu schreien.
    In Boston, Massachusetts, gibt es eine Klinik, wo diejenigen versorgt werden, die an Wohlstandskrankheiten leiden; hin und wieder dürfen die Reichen auch dort gebären. Im Massachusetts General Hospital ‘ schreien die Mütter nicht, und sie gebären auch nicht angekleidet. Das schickt sich nicht.
    Vor dem Kreißsaal ging ein junger Mann auf und ab. In dem Saal befanden sich zwei Frauenärzte und der Hausarzt. Bei seinem ersten Kind wollte der Vater keine Risiken eingehen; die beiden Frauenärzte würden allein für ihre Anwesenheit ein stattliches Honorar erhalten. Einer von ihnen - er trug bereits einen Smoking unter dem weißen Mantel - würde später zu einer Dinner-Party gehen, aber von dieser Geburt hier fernzubleiben, konnte er sich nicht leisten. Die drei hatten ausgelost, wer das Kind zur Welt bringen würde, und der Hausarzt Dr. MacKenzie hatte gewonnen. Ein guter, verläßlicher Name, überlegte der Vater, während er auf und ab ging. Eigentlich hatte er keinen Grund, nervös zu sein. Richard hatte seine Frau Anne heute morgen in seinem hübschen Wagen zum Krankenhaus gebracht, da sie ausgerechnet hatte, daß es der 28. Tag des neunten Monats war. Die Wehen hatten kurz nach dem Frühstück eingesetzt, und man hatte ihm versichert, daß die Geburt bestimmt nicht stattfinden würde, bevor seine Bank schloß. Der Vater war ein disziplinierter Mann und sah keinen Grund, warum eine Geburt sein wohlorganisiertes Tagesprogramm durcheinanderbringen sollte. Trotzdem ging er weiter auf und ab. Krankenschwestern und junge Ärzte eilten an ihm vorbei, dämpften die Stimmen in seiner Nähe und wurden wieder lauter, wenn sie außer Hörweite waren. Er merkte es gar nicht, weil ihn immer alle Menschen so behandelten. Die meisten von ihnen kannten ihn nicht persönlich; doch alle wußten, wer er war.
    Würde es ein Junge werden, so würde er wahrscheinlich den neuen Kindertrakt bauen lassen, den die Klinik so dringend benötigte; eine Bibliothek und eine Schule hatte er bereits errichten lassen. Der künftige Vater versuchte die Abendzeitung zu lesen, doch die Worte
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