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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Kain und Abel
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verließen die Dorfschule, sobald es ihr Alter erlaubte, oder auch nach eigenem Gutdünken. Wladek begann zwar spät zu laufen, aber er sprach mit achtzehn Monaten. Mit drei Jahren konnte er sich zwar nicht allein ankleiden, wohl aber lesen. Mit fünf Jahren konnte er schreiben, näßte aber immer noch das Bett. Sein Vater war wütend, seine Mutter stolz. Seine ersten vier Lebensjahre zeichneten sich durch fortwährende Versuche aus, mit Hilfe einer Krankheit diese Erde zu verlassen, und durch die entschlossenen Anstrengungen der Mutter und Florentynas, dies zu verhindern. In seinen Harlekinkleidern lief er in dem kleinen Holzhaus barfuß hinter der Mutter her, und kam Florentyna aus der Schule, so wechselte er seine Gefolgschaft und wich nicht von ihrer Seite, bis sie ihn zu Bett brachte. Wenn Florentyna die Mahlzeit in neun Portionen teilte, gab sie Wladek nicht selten die Hälfte ihres Anteils, und wenn er krank war, die ganze Portion. Wladek trug die Kleider, die sie ihm anfertigte, sang die Lieder, die sie ihn lehrte, und teilte mit ihr die wenigen Spielsachen, die sie besaß.
    Da Florentyna beinahe den ganzen Tag in der Schule war, wünschte der kleine Wladek sie schon bald zu begleiten. Sobald man es ihm erlaubte, marschierte er, Florentyna fest an der Hand haltend, die achtzehn Werst durch moosbedeckte Birken- und Pappelwälder und Obstgärten voller Apfel- und Kirschbäume nach Slonim, um seine Erziehung zu beginnen.
    Die Schule gefiel Wladek vom ersten Tag an; sie bot eine Abwechslung zu dem winzigen Haus, das bis jetzt die ganze Welt für ihn gewesen war. In der Schule lernte er auch zum erstenmal in seinem Leben die bitteren Folgen der russischen Besetzung Ostpolens kennen. Er erfuhr, daß seine polnische Muttersprache nur zu Hause gesprochen werden durfte, während man in der Schule russisch sprechen mußte, und er spürte bei den anderen Kindern den wilden Stolz auf die unterdrückte Muttersprache und die eigene Kultur. Auch er empfand diesen Stolz. Zu seinem Erstaunen stellte Wladek fest, daß ihn der Lehrer, Herr Kotowski, nicht auslachte, wie es der Vater zu Hause oft tat. Obwohl er, wie zu Hause, der Jüngste war, übertraf er seine Mitschüler sehr bald in allem, außer an Größe. Sein schmächtiger Wuchs verleitete die andern fortwährend dazu, seine Fähigkeiten zu unterschätzen; Kinder glauben immer, der Größte sei der Beste. Mit fünf Jahren war Wladek in jedem Gegenstand Klassenbester, außer in Bastelarbeiten mit Eisen.
    Während die anderen Kinder abends Beeren pflückten, Holz hackten, Kaninchen fingen oder Kleider nähten, saß Wladek in dem kleinen Holzhaus und las und las, bis er die Bücher seines ältesten Bruders und dann jene seiner ältesten Schwester kannte beide hatten sie noch nicht einmal geöffnet. Langsam dämmerte es Helena Koskiewic, daß sie sich damals, als der junge Jäger statt drei Kaninchen das kleine Lebewesen nach Hause gebracht hatte, mehr aufgeladen hatte als erwartet. Schon heute stellte Wladek Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Sie wußte, daß sie sehr bald außerstande sein würde, mit ihm Schritt zu halten, und überlegte hin und her, wie sie das Problem meistern sollte. Aber sie besaß einen unerschütterlichen Glauben an das Schicksal und war daher nicht überrascht, als ihr die Entscheidung abgenommen wurde.
    An einem Herbstabend des Jahres 1911 trat der erste Wendepunkt in Wladeks Leben ein. Die Familie hatte soeben ihr kärgliches Abendbrot - Rote-Bete-Suppe und Fleischklöße - beendet. Jasio Koskiewicz saß schnarchend am Feuer, Helena nähte, die Kinder spielten und Wladek hockte lesend zu Füßen seiner Mutter. Während Stefan und Josef sich gerade um einen frisch bemalten Tannenzapfen zankten, ertönte ein lautes Klopfen an der Tür. Sofort wurden alle still. Ein Klopfen war bei den Koskiewicz immer etwas Ungewöhnliches, denn das kleine Haus war achtzehn Werst von Slonim und über sechs Werst vom Gut des Barons entfernt. Besucher waren selten, und man konnte ihnen nichts anderes bieten als Beerensaft und die Gesellschaft der lärmenden Kinder. Ängstlich blickte die ganze Familie zur Tür. Als hätten sie nichts gehört, warteten sie auf eine Wiederholung des Klopfens. Diesmal war es lauter. Schlaftrunken erhob sich Jasio von seinem Stuhl, ging zur Tür und öffnete vorsichtig. Als sie den Mann auf der Schwelle sahen, senkten alle die Köpfe, außer Wladek, der zu der stattlichen aristokratischen Gestalt im schweren Bärenfellmantel
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