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Applaus für eine Leiche

Applaus für eine Leiche

Titel: Applaus für eine Leiche
Autoren: Léo Malet
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Absicht hätten. Nein, ich hab Ihnen doch gesagt: Ich weiß nicht, wer mir an den Kragen will. Wenn ich’s wüßte, hätte ich bereits die Polizei eingeschaltet... Doch genug davon! Ich bezahle Sie, damit Sie mich beschützen. Also beschützen Sie mich! Und wenn Sie etwas Verdächtiges...“
    „Verdächtiges gibt es überall zu entdecken. Das ist es ja gerade! Was ich nicht verstehe, ist, daß Sie Ihr Schutzbedürfnis nur hier drinnen verspüren, nicht aber außerhalb des Studios. Wie gesagt, Blinde-Kuh-Spielen gehört nicht in mein Fach. Ich kann meinen Beruf nur dann ausüben, wenn ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen besteht.“ Ich startete einen erneuten Überraschungsangriff: „Befürchten Sie vielleicht etwas von Janine Baga?“
    „Mischen Sie sich da nicht ein!“
    Er sprang wütend auf, sein Gesicht verzerrte sich, der Stuhl fiel auf den abgeschabten Teppich. Ich stand ebenfalls auf, für alle Fälle. Sollte er gemeingefährlich werden, dann wollte ich gewappnet sein. So langsam hatte ich die Schnauze voll von meinem sauberen Klienten.
    „Mischen Sie sich da nicht ein!“ schnauzte er wieder.
    Plötzlich schwankte er und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Seine Stimme war nur noch ein heiseres, angsterfülltes Röcheln.
    „Was ist los?“ flüsterte er. „Wird das Licht schwächer?“
    Sein Gesicht wurde blaß, jedenfalls an den Stellen, die bereits abgeschminkt waren. Seine Hände suchten nach einem Halt, faßten aber nur ins Leere. Bevor ich reagieren konnte, drehte er sich um seine eigene Achse, fiel nach vorne, mit dem Kopf in eine riesige Puderdose, zuckte zwei Sekunden lang und sank dann auf die Knie, umgeben von einer duftenden Puderwolke, wie bei einem drehbuchreifen Schlußgebet. Er kniete da, mit herabhängenden Armen, das Kinn auf dem Schminktisch aufgestützt, leicht hin und her schwankend.
    Ich schob meine Hand unter sein aufgeknöpftes Hemd und tastete nach seinem Herzen. Die Herzen der jungen Mädchen, die ihr Idol auf einem Foto anhimmelten, schlugen bestimmt viel wilder als dieses hier. Um die Wahrheit zu sagen: Das Herz des Filmstars schlug überhaupt nicht mehr.
    Der Wutausbruch alleine konnte das tragische Ende nicht hervorgerufen haben. Wahrscheinlicher war es, daß Favereau zu Recht um sein Leben gefürchtet hatte. Er selbst hatte soeben, vor meinen Augen, den Beweis dafür geliefert.

    * * *

    Einen Moment lang blieb ich unbeweglich stehen und lauschte. Trotz seines plötzlichen Wutanfalls hatte Favereau nicht sehr laut gesprochen. Seine letzten Worte waren nur noch ein Murmeln gewesen, und lautlos war er zusammengebrochen. Außerdem ist die Garderobe eines Stars nicht mit den Kaninchenställen der anderen Akteure zu vergleichen. Wandbehänge und eine Polstertür schlucken eine Menge Lärm. Und so war von dem brutalen Drama, das sich soeben hier abgespielt hatte, nichts nach außen gedrungen.
    Um mich zu vergewissern, warf ich einen Blick auf den staubigen Korridor, an dessen Wänden verschiedene Anweisungen und Notizen hingen. Alles war ruhig, keine Menschenseele zu sehen. Die Garderobiere wartete nicht, wie ich befürchtet hatte, in Hörweite auf die Stimme ihres Herrn. Die Farbe ihrer Nase ließ darauf schließen, daß sie die freien Minuten zu einem Abstecher in die Kantine nutzte.
    Ich schloß die Tür von innen ab und widmete mich der Leiche. Die Person des Toten wurde mir immer rätselhafter. Ich sagte mir, eine behutsame Durchsuchung könne mir vielleicht weiterhelfen. Viel hatte er mir über die lauernde Gefahr und über das, was er von mir erwartete, nicht verraten; doch seine Befürchtungen waren nicht grundlos gewesen. Der alles andere als lebende Beweis lag vor mir auf dem Boden.
    Ohne Zögern machte ich mich an die Arbeit. Der Smoking, den Favereau für die Dreharbeiten angezogen hatte und dessen Hose er noch trug, enthielt nichts Sensationelles. Nur ein Taschentuch. Mehr Glück hatte ich mit seinem Straßenanzug. Das Hutzelweib hatte ihn sorgfältig auf dem Sofa ausgebreitet. In der Brieftasche entdeckte ich unter den üblichen Papieren und dem „Reklamezettel“, wie der Verblichene meinen Werbeprospekt genannt hatte, einen Drohbrief.
    Es war ein einfaches Blatt Papier aus einem gewöhnlichen Schulheft. Das Geschreibsel enthielt nicht mehr Orthographiefehler, als es die ungelenke Handschrift vermuten ließ. Neben einer Flut von Beleidigungen wurde das Versprechen gegeben, den Adressaten um die Ecke zu bringen. Allerdings wurde nicht verraten, wie, wann
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