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Applaus für eine Leiche

Applaus für eine Leiche

Titel: Applaus für eine Leiche
Autoren: Léo Malet
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verspritzen, was seinen Landsmann offensichtlich verlegen machte, und ging in die Kantine. Hier saßen nur zwei Schauspielerinnen, die sich über ihre Gläser hinweg um die Wette anlächelten. Wohl als Entschuldigung für ihr banales Gesprächsthema. Das Mädchen hinter der Theke ahmte die Pose eines staatlich geprüften Vamps nach. Sehr fotogen, dieser Schlafzimmerblick. Ich bestellte gleich zwei Glas Wein, um den Engel nicht zu häufig auf die Erde zurückholen zu müssen. Zur Feier des Tages teilte ich ihr meine Gedanken mit.
    „Sagen Sie mal, Romeo“, fiel sie mir ins Wort, wobei ihre hübschen grünen Augen auf mein häßliches Make-up starrten, „in welchem Film spielen Sie mit, mit so’ner Fratze?“
    „In Sumpfblüte
    „Und wofür hat man Sie engagiert? Um den Geistreichen zu spielen, oder um den Regisseur zu erschrecken?“
    Ich lächelte, so gut es ging. Sehr gut ging es nicht.
    „Vielleicht könnten wir uns verstehen, Julia. Hin und wieder bewegen Sie sich doch von der Theke fort, oder? Ich hab Sie für eine Marmorstatue gehalten. Und jetzt muß ich feststellen, daß ich mich geirrt habe. Wissen Sie, bei mir ist das ähnlich. Wenn ich mich abschminke, bin ich gar nicht so häßlich.“
    „Das hoffe ich für Sie, Märchenprinz... Aber spannen Sie mich nicht auf die Folter. Was hat man mit Ihrer Fratze vor?“
    Das fand sie nun gar nicht lustig. Ihre sanften Augen blickten mit einmal ganz hart. Sie beugte sich über die Theke, und ich bedauerte, daß ihr Kleid einen hochgeschlossenen Kragen hatte.
    „Verdammt schade, daß wir nur dummes Zeug daherreden“, zischte sie. „Ich wollte, Sie könnten ihm wirklich Angst einjagen und er würde verrecken!“
    Ich leerte das zweite Glas in einem Zug.
    „Noch einmal das gleiche“, bestellte ich, „und schön vollmachen... Also wirklich, ich hab das Gefühl, daß unser jugendlicher Held nicht sonderlich beliebt ist, hm? Was hat er Ihnen denn getan?“
    „Ein Scheißkerl ist er!“
    „Den Eindruck hab ich so langsam auch. Man sollte den Zeitungen kein Wort glauben. Ständig ist dort von Julien Favereaus Verehrerinnen die Rede. Von wegen! Die Bewunderung für ihn scheint sich ja sehr in Grenzen zu halten, wenn ich das richtig sehe.“
    „Das sehen Sie genau richtig“, erwiderte der Racheengel. „Bewunderung! Pah! Wenn ich den Kerl seh, krieg ich Bauchschmerzen. Aber... Verehrerinnen, doch, da gibt’s ‘ne ganze Menge...“
    Sie verstummte. Ein Bühnenarbeiter mit weißem Schnurrbart hatte soeben die Kantine betreten.
    „Guten Tag, Monsieur Marchand“, grüßte das Mädchen hinter der Theke. „Was darf’s sein?“
    „Ein Rotwein und ein Sandwich“, antwortete der Mann in schleppendem Tonfall.
    Sie goß den Wein ein und wickelte ein riesiges Sandwich in Zellophanpapier. Der Mann trank, zahlte und steckte das Päckchen wortlos in die Tasche seines blauen Overalls. Eine knappe Handbewegung in die Runde, und er ging wieder hinaus.
    Das Mädchen strich sich die Haare nach hinten und zeigte mit dem Kopf in Richtung Tür.
    „Der sieht alt aus, nicht wahr?“ fragte sie mich. „Find ich auch. Doch, der Junge ist näher an seiner Pensionierung als an seiner Erstkommunion.“
    „Tja, so alt ist er aber noch gar nicht.“
    Und sie erzählte mir die traurige Geschichte von Raymonde Marchand.

    * * *

    Kurz darauf saß ich in einem abgewetzten Sessel zwischen der Stechuhr für die festen Angestellten des Filmstudios und der breiten Eingangstür. Die Treppe vor mir führte zu den Garderoben und dem Regieraum.
    Es hatte mich viel Mühe gekostet, dieses Schreckgespenst von Sessel aufzutreiben. Jetzt konnte ich endlich in aller Ruhe meine Pfeife rauchen... bis draußen Bremsen quietschten.
    Der Pförtner stürzte aus seinem Glaskasten und verneigte sich akrobatisch tief vor dem Mann im hellen Anzug, der hereinkam. Julien Favereau — er war’s! — schien der Hochachtung, die ihm entgegengebracht wurde, nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Locker sprang er die Treppe hinauf zu seiner Garderobe.
    Ich folgte ihm. Als ich eintrat, wurde er bereits von der alten Garderobenfrau umsorgt.
    „Ach, guten Tag“, sagte er.
    Eine reine Höflichkeitsfloskel, einfach nur so dahergesagt, aus purer Gewohnheit. Herzlichkeit war nicht mit im Spiel. Die Hand reichte er mir natürlich nicht, worauf ich auch keinen Wert legte. Ich bin sehr wohl in der Lage, ein Gespräch ohne den Austausch von Bazillen zu beginnen.
    Als erstes beschwerte ich mich über mein Make-up,
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