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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
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seine Schüler begeistern, er kann ein Vorbild sein, er … ach, was erzähle ich da. Das weiß sowieso jeder. Aber die verdammten Bildungsreformer wollen die Lehrer abschaffen. Ich war in einer Schule zu Gast. Schon die Zehnjährigen bilden mehr Arbeitsgruppen als der SPD -Ortsverein Erkenschwick. Frontalunterricht ist schlecht? Wieso denn? Weil er undemokratisch ist? Das hat Mutter Natur natürlich verdammt undemokratisch eingerichtet, manche wissen mehr, andere weniger. Amputiert die Gehirne, verfüttert alle Gehirne an die Ziegen, dann haben wir die perfekte Demokratie.
    Die Bildungsreformer würden ja selbst Einstein nach Hause schicken, weil es undemokratisch ist, sich von Einstein Physik erklären zu lassen, so von oben herab. Stattdessen machen wir alle jetzt schön einen Methodenwechsel und hören dem Gelaber von, ich meine das nicht persönlich, irgendeinem Wichtigtuer zu.
    Ich bin mental sehr erregt. Es müsste Demonstrationen geben mit Spruchbändern: »Wir fordern Frontalunterricht!« Alle Volkshochschulen müssen durch Sitzblockaden lahmgelegt werden, so lange, bis es wieder Frontalunterricht gibt.

Über Chancengleichheit
    Ein Mann von dreizehn Jahren ist in einem schwierigen Alter. Als ich dreizehn war, bin ich in eine unserer Lehrerinnen verliebt gewesen. Ach was, verliebt: Ich begehrte sie. Die Details des Liebeslebens waren mir im Großen und Ganzen bekannt, leider nur in der Theorie. Bis zu den ersten praktischen Übungen sollten noch etliche trostlose, leere, mir damals vergeudet erscheinende Jahre vergehen..
    Es war verdammt demütigend. Ich hatte so viel zu geben. Ein Mann von dreizehn Jahren ist in einem schwierigen Alter.
    Sie war Referendarin. Sie trug Ringelsöckchen! Sie roch nach Patschuli! Sie war so süß. Mein Gott – sie war höchstens fünfzehn Jahre älter als ich. Was sind schon fünfzehn Jahre. Wenn sie mich verführen würde, sagte ich mir damals, würde ich sie glücklich machen wie keiner. Später, mit vierzehn, fünfzehn, sechzehn, wurde es leider nicht einfacher, sondern schwieriger. Ein Mann von sechzehn Jahren ist nämlich in einem noch schwierigeren Alter. Mit achtzig darf man natürlich alles – aber will man? Die Referendarin wird fünfundneunzig sein.
    Und nun möchte ich gerne wissen, wer, egal, ob Mann oder Frau, in der Schule niemals unkeusche Gedanken in Bezug auf eine Lehrperson gehabt hat. Schön ehrlich sein!
    Oh. Da gehen relativ wenige Hände nach oben.
    Ich habe ferngesehen, Beckmann. Als Gast war der Schriftsteller Bodo Kirchhoff zugegen, der in seiner Kindheit ein Missbrauchsopfer war. Kirchhoff sagte Sachen, die jeder weiß und die eigentlich selbstverständlich sind. Mit meinen Worten: Kinder, erst recht Jugendliche, seien keine sexuellen Neutra. Er habe diesen Lehrer sehr bewundert und, wenn er ganz ehrlich zu sich sei, wohl auch ermutigt. Das alles habe ihm zunächst nicht missfallen, die damit für ihn verbundenen Beschädigungen seien ihm erst nach und nach klar geworden.
    Daran fand ich nichts skandalös. Die Wahrheit kann eigentlich nie skandalös sein. Aber Beckmann hatte Angst, dass die sehr genaue Beschreibung der Empfindungen eines Opfers – das sich am Anfang oft nicht als Opfer begreift, auch deshalb ist später die Scham so groß – durch den Autor Kirchhoff als Verharmlosung des Missbrauchs verstanden wird. Er schnitt ihm immer wieder das Wort ab.
    Da fiel mir wieder einmal auf, dass die Welt zu kompliziert ist fürs Fernsehen. Jeder Gedanke, der vielschichtiger ist als eine Wagner-Kolumne in der Bild- Zeitung, könnte natürlich von irgendjemandem missverstanden werden.
    Ich wurde älter, älter und noch älter. Ich bemerkte einen neuen Trend. Frauen haben blutjunge Liebhaber (über achtzehn, aber einige nur knapp), Madonna, Susan Sarandon, Demi Moore, Elke Heidenreich und so weiter. Ich dachte, aha, Sieg der Emanzipation. Eine neue Option für die Jungs von heute, auch wenn ich leider nicht mehr davon profitieren kann. Eine Kollegin sagte, es gebe dafür einen Fachbegriff: Berglöwinnen.
    Eine Berglöwin ist eine erfolgreiche Frau mit jungem Lover. Die offizielle Faustregel heißt, dass die Frau zum Zeitpunkt der Einschulung ihres Lebensgefährten mindestens volljährig gewesen sein muss. Andernfalls ist sie keine echte Berglöwin, sondern ein anderes Tier.
    Toll, sagte ich, das ist bei den Männern immer schon so gewesen, nur dass die nicht »Berglöwen« heißen, sondern »alte Böcke«. Die Kollegin schaute mich irritiert an. Ob
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