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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
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nachzuschauen, welche Person mich in das Haus begleitet hatte; sie klopfte kurz an, ging sofort hinein und schaute sich die Person gründlich an. Das gefiel mir nun gar nicht.
    Ich habe versucht, mit ihr zu reden. Ich habe das kommunikative Problem, dass ich, wenn ich etwas will oder mich etwas stört, relativ lange vorsichtige und leise Signale sende, dann, auf einmal, platzt mir der Kragen. Irgendwie beherrsche ich nicht die Mittellage. Die Frau war im Gespräch fast unterwürfig, nicht authentisch, was mir auch wieder nicht gefiel. Danach machte sie weiter wie zuvor. Freunde sagten: »Du musst dich von ihr trennen. Das geht so nicht.«
    Ich hatte so etwas noch nie gemacht. Sogar als Chef habe ich niemanden rausgeworfen, obwohl es manche Leute meiner Ansicht nach verdient gehabt hätten. Der Grund dafür ist nicht, dass ich ein guter Mensch wäre, ich bin kein guter Mensch, abgesehen davon, dass es nicht böse sein muss, jemanden zu entlassen. Ich mag einfach das Gefühl nicht, von anderen gehasst zu werden. Ich will Liebe, überall. Es ist der pure Egoismus. Ich möchte nur gut dastehen. Vielleicht bin ich auch feige.
    Der Gedanke, der Frau zu kündigen, bereitete mir wochenlang Schlafprobleme. Sie hatte wenig Geld. Sie hatte bestimmt auch ihre guten Seiten. Aber da war die Sache mit dem Schlafzimmer, und die Tatsache, dass sie einfach nicht tat, was ich wollte. Sie war der Chef. Ich dachte an meinen Vater, der in Südafrika lebt und bestimmt schon zwanzig Hausangestellte gefeuert hat, zum Beispiel weil sie zu alt seien. Dabei ist er selber alt. Bin ich genauso?
    Als ich in dem Haus ankam, standen alle möglichen Putzutensilien herum, die sie nicht weggeräumt hatte, Bügelbrett, Wäscheständer, Staubsauger, und das Beet, das sie nur ein bisschen ausdünnen sollte, hatte sie einfach kahl rasiert. Ich dachte, super, das ist super, damit kriege ich sie. Ich habe den richtigen Drive, heute habe ich Führungsqualitäten und entlasse jemanden.
    Die Frau kam, ich fing an zu schimpfen. Die Frau schwieg. Dann sagte sie, dass sie es mit mir nicht mehr aushalte, sie wolle nicht mehr, sie höre auf mit sofortiger Wirkung.
    Auf einmal wurde mir klar, dass sie mich genauso wenig mochte wie ich sie. An diese Möglichkeit hatte ich noch gar nicht gedacht. Das war großartig. Das passte. Ihr Götter, ich jubiliere, sie erwidert meine Gefühle, the girl is mine. Für mich soll’s rote Rosen regnen. Ich fühlte mich so gut wie lange nicht mehr. Jeder Mensch möchte geliebt werden? Nicht immer, Leute, nicht immer.

Über das Thema, wie eine Kolumne entsteht
    Manchmal werde ich gefragt, wie Kolumnen entstehen, wie ich Themen finde. Ich beschreibe es am Beispiel dieser Woche. Abgeben soll ich den Text am Montag.
    Am Freitag wollte ich anfangen und hatte auch schon ein Thema: das Weltwissen der Zimmermädchen. Mir ist eingefallen, dass mich, ohne ironische Übertreibung, in den letzten Jahren etwa zwanzig Zimmermädchen nackt gesehen haben. Immer wenn ich im Hotel bin und dusche, klopft ein Zimmermädchen an die Tür und betritt, ohne eine Reaktion abzuwarten, sofort den Raum, während ich, weil es ja geklopft hat, nackt und tropfend aus dem Bad herauskomme.
    Ich kann also gut darüber schreiben, wie mir unbekannte Frauen aus verschiedenen Altersgruppen und Kulturkreisen darauf reagieren, wenn sie unerwartet meinem nackten Körper begegnen. Wichtig ist, dass so ein Text nicht schlüpfrig wirkt, sondern souverän, reflektiert und altersweise. Ich hatte noch keine zweite Sinnebene, die man immer braucht, um dem Thema poetische Tiefe zu verleihen, aber die habe ich am Anfang eigentlich nie.
    Am Freitag bekam ich einen schlimmen Husten. Ich fuhr hustend aus dem Büro nach Hause und hustete den ganzen Freitag und dann auch noch den Samstag hindurch, so hart und ehrlich habe ich noch nie gehustet. Ich dachte, dass es auch sein Gutes hat, weil ich mit dem Rauchen aufhören will, gleichzeitig rauchen und husten geht nicht. Ich rauche nur während des Schreibens, wenn ich einen anderen Beruf hätte, wäre ich Nichtraucher. Ihr seid schuld.
    Ab Samstag spürte ich das Zwerchfell. Ich hatte mir echt mein Zwerchfell wund gehustet. Als zweite Ebene käme infrage, dass ein, weil die meisten Zimmermädchen zutiefst erwachsen sind, diskriminierendes und diminuierendes (ja, mein Gott, dann schlagen Sie das Wort halt nach!) Wort wie »Zimmermädchen« weiterexistiert, ohne vom Feminismus infrage gestellt und durch etwas politisch Korrektes,
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