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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
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uns nicht. Ein Jahr später bewarb er sich noch einmal.
    Ich unterhielt mich mit einem Freund, der in einem anderen Betrieb und einer anderen Branche für die Einstellungen zuständig ist. Er ging genauso vor. »Überehrgeizige Leute sind Stimmungskiller und bringen nur Unruhe«, sagte er. Streber, die eine makellose oder übertrieben aufgemotzte Bewerbung abgeben, ließen auf einen schwierigen Charakter schließen und würden niemals auch nur zu Gesprächen eingeladen.
    Noch aussichtsloser allerdings seien bemüht launige Bewerbungen. Wer ein »witziges« Bewerbungsfoto einreichen will, sollte sich das Porto sparen und stattdessen in der Spätvorstellung einen traurigen Film anschauen.
    Der Freund sagte, dass er lange über die Bewerbung einer Frau nachgedacht habe, die schrieb, sie sei nichts Besonderes, sie habe auch keine Ahnung, ob sie für den Job wirklich geeignet sei, aber sie suche halt dringend eine Stelle. Deshalb probiere sie es mal. Das fand er extrem gut.
    Außerdem stand aber in dem Bewerbungsbrief, dass sie oft traurig sei, wenn sie an die verpassten Chancen in ihrer Vergangenheit denke. »Ehrlich, aber zu intim«, sagte der Freund. Dieser eine Satz in der ansonsten perfekt unperfekten Bewerbung wecke den Verdacht, dass diese Person distanzlos und neurotisch sei und zwanzig Prozent ihrer Arbeitszeit weinend in seinem Büro verbringen werde. Dazu habe er, bei aller Sympathie, weder Lust noch Zeit.
    Wir stellten fest, dass es bei Bewerbungen nicht anders zugeht als bei den Castingshows im Fernsehen. Die idealen Bewerbungen wirken auf den ersten Blick ein bisschen graumäusig, besitzen aber eine genau dosierte Prise Individualität. Solche Leute gewinnen bei den Shows und kriegen die Jobs.
    »Im Grunde«, sagte der Freund, »suchen wir Leute, die so sind, wie wir selbst damals gewesen sind. Ein bisschen unsicher, bestenfalls mittelmäßig kompetent, ein Mängelexemplar.« In dieser Beschreibung erkannte ich ihn überhaupt nicht wieder. Er war immer superehrgeizig und perfektionistisch. Man sucht offenbar ein Idealbild seiner selbst, aber das Ideal sieht anders aus, als die Bewerber glauben.

Über Bildung
    Manchmal gebe ich Kurse, so Schreibkurse halt. In denen erzähle ich, dass man ruhig eine Formulierung wie »so Schreibkurse halt« verwenden darf, obwohl es, wie jeder Fliegenbeinzähler mir gerne bestätigen wird, nicht korrekt ist. Man darf nämlich alles, sofern es zum Duktus des Textes passt. Wenn Sie einen Text schreiben, der gesprochene Sprache abbildet, dann schreiben Sie, wie man redet. Wenn ein oder zwei Leser das nicht kapieren, so what . Es kann auch nicht jeder bruchrechnen, deswegen schafft man die Bruchrechnung noch lange nicht ab. Und wenn Ihnen jemand die Verwendung englischer Wörter vorwirft, dann antworten Sie dieser Person in Kirchenlatein, bei der Abfassung des Briefes kann ich helfen.
    Einmal haben ein paar Teilnehmer verlangt, dass wir Arbeitsgruppen bilden und »keinen Frontalunterricht« machen. Die Teilnehmer wollten »Methodenwechsel«. Ich dachte, womöglich soll ich meine Thesen als Tanz vortragen. Aber nein, »Methodenwechsel« ist ein Fachbegriff aus der Modekiste, irgendein neopädagogischer Schnickschnack. Alle zwanzig Minuten sollen die Lehrer zu Teilnehmern und die Teilnehmer zu Vortragenden werden, damit die lieben Kinderchen, auch wenn sie schon vierzig sind, nicht überfordert werden. Da kann man nur hoffen, dass sich auch in der Arbeitswelt der Gedanke durchsetzt, dass keiner sich anstrengen muss, aber da bin ich skeptisch.
    Ich habe mal gelesen, was über »Methodenwechsel« so geschrieben wird: »In der Planung können Rückkoppelungsschleifen vorgesehen werden, die es ermöglichen, die Reaktionen der AdressatInnen in den Lernprozess zu integrieren.« In anderen Worten, es handelt sich um Ringelpiez mit Anfassen.
    Diesen Wunsch haben sowohl der Kollege, der gemeinsam mit mir unterrichtete, als auch ich in brüsker Form zurückgewiesen. Der Kollege sagte, dass die Teilnehmer, falls sie der Ansicht sind, dass sie sich das Schreiben selber beibringen können, dies jederzeit gerne tun dürfen. Wir würden dann Bier trinken gehen.
    Alles, was ich weiß, habe ich auf genau zwei Arten gelernt, erstens durch Lesen, zweitens von Lehrern. Ich kann mich noch an fast alle meine Lehrer gut erinnern. Manche habe ich geliebt, andere habe ich gehasst. Aber das war auch okay.
    Ein guter Frontalunterricht bei einem guten Lehrer ist das Beste, was es gibt. Ein guter Lehrer kann
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