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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust
Autoren: Megan Hart
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enttäuschen. Oder ihr nicht wieder einmal zu beweisen, dass sie recht hatte. Aber genau das war es, was ich wollte: ihr zeigen, dass sie sich irrte.
    „Du bist manchmal furchtbar stur.“
    „Das nennt man entschlossen“, murmelte ich, während ich ein letztes Mal das Regal betrachtete, vor dem ich stand.
    „Man nennt es stur wie ein Esel und entschlossen, es nicht zuzugeben. – Ich warte draußen auf dich.“
    Ich schaute kaum auf, als sie ging. Mir war klar gewesen, dass Kiras geringe Aufmerksamkeitsspanne sie nicht gerade zur idealen Begleiterin für diesen Einkaufsbummel machte, aber ich hatte es schon viel zu lange aufgeschoben, Stella ein Geschenk zu besorgen.
    Seit ich aus unserer Heimatstadt nach Harrisburg gezogen war, hatte ich Kira nur selten getroffen. Eigentlich hatten wir uns vorher auch nicht oft gesehen. Als sie mich angerufen hatte, um zu fragen, ob ich sie treffen wollte, war mir keine Ausrede eingefallen, die nicht gemein und kaltherzig geklungen hätte. Sie würde draußen vor dem Laden ganz zufrieden sein, während sie ein oder zwei Zigaretten rauchte, also wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder der Suche zu, weiterhin entschlossen, genau das Richtige zu finden.
    Im Laufe der Jahre hatte ich herausgefunden, dass es nicht zwingend das Geschenk selber war, das Stellas Billigung fand, sondern etwas, das noch weniger greifbar war als der Preis. Mein Vater kaufte ihr alles, was sie sich wünschte, und was sie nicht von ihm bekam, kaufte sie sich selber. Es war also unmöglich, ihr etwas zu kaufen, das sie wollte oder brauchte. Gretchen und Steven, die Kinder meines Vaters aus seiner ersten Ehe mit Tara, wählten den bequemen Weg und brachten ihre Kinder dazu, Stella etwas zu basteln, wie zum Beispiel eine mit Fingerfarben bemalte Grußkarte. Meinen Halbgeschwistern gelang es, mit ihren planlosen Versuchen davonzukommen, während die Erwartungen an mich deutlich höher waren. Stellas eigene Jungen waren noch zu klein, um sich Gedanken über ein Geschenk zu machen.
    Es ist immer irgendwie von Nutzen, wenn man versucht, hohen Erwartungen gerecht zu werden.
    Da stand ich nun also, starrte vor mich hin und zermarterte mir den Kopf, welches Geschenk genau das richtige wäre. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Frau meines Vaters ist keine üble Person. Sie hat nie aufgehört, zu versuchen, mich, so wie Gretchen und Steven, zu einem Teil ihrer Familie zu machen. Wobei es selbstverständlich und nur natürlich war, dass ich ihr nicht so viel bedeutete wie ihre eigenen Söhne Jeremy und Tyler. Aber meine Halbgeschwister hatten alle bei meinem Vater gelebt. Ich nie.
    Dann sah ich es. Das perfekte Geschenk. Ich nahm die Schachtel vom Regal und öffnete den Deckel. Drinnen lag auf tiefblauem Seidenpapier ein Stapel blassblauer Briefkarten. In der unteren rechten Ecke jeder Karte glitzerte ein stilisiertes S umgeben von fast unmerklich funkelnden Sternchen. Die Umschläge hatten dasselbe Sternenmuster und waren von Silberfäden durchzogen, die sie zum Leuchten brachten. Außerdem lag noch ein Füllfederhalter in der Schachtel. Ich nahm ihn heraus. Er war zu leicht, und die kleine Quaste am oberen Ende wirkte zu verspielt, aber er war nicht für mich. Es war der perfekte Stift für Finger mit manikürten Nägeln, die Dankeskarten schrieben, in denen über jedem i statt eines Punktes ein Herzchen stand. Es war der perfekte Füller für Stella.
    „Ah, Sie haben also etwas gefunden.“ Miriam nahm die Schachtel entgegen und löste sorgfältig das Preisschild vom Boden. „Eine sehr gute Wahl. Bestimmt kommt es hervorragend an.“
    „Das hoffe ich.“ Ich glaubte tatsächlich, dass es ihr gefallen würde, aber ich bemühte mich, mir nicht zu sicher zu sein, weil das zwangsläufig zu einer Enttäuschung führen musste.
    „Sie wissen immer ganz genau, was jemand braucht, nicht wahr?“ Miriam lächelte, während sie die Schachtel in einen hübschen Beutel steckte und ihn mit einer Schleife verzierte, die sie mir nicht berechnen würde.
    Ich lachte. „Oh, davon weiß ich nichts.“
    „Doch, das tun Sie“, behauptete sie mit fester Stimme. „Ich kenne meine Kunden. Ich beobachte sie. Viele kommen hierher und suchen nach irgendetwas, finden es aber nicht. Sie finden immer, was Sie suchen.“
    „Das heißt nicht, dass es dann auch das Richtige ist“, erklärte ich ihr und bezahlte mit ein paar glatten Scheinen frisch aus dem Geldautomaten.
    Miriam schaute mich über ihre Brille hinweg an.
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