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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust
Autoren: Megan Hart
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„Meinen Sie wirklich?“
    Ich gab ihr keine Antwort. Wie kann irgendjemand wissen, ob das, was er tut, das Richtige ist? Jedenfalls bevor es zu spät ist, um noch etwas zu ändern.
    „Manchmal glauben wir, wir wüssten ganz genau, was ein anderer Mensch sich wünscht oder braucht. Aber dann …“, sie seufzte und hielt mir einen Stapel hübsches Briefpapier hin, das in einer Schachtel mit einem Klarsichtdeckel lag, „… finden wir heraus, dass wir uns geirrt haben. Das hier habe ich für einen meiner Stammkunden zurückgelegt, aber er mochte es nicht.“
    „Was für ein Pech. Ich bin sicher, jemand anders wird es nehmen.“ Es wunderte mich nicht, dass ein Mann das Papier nicht wollte. Es war mit geprägten Blumen verziert, deren Ränder golden leuchteten, und erschien mir ein wenig zu feminin für einen Mann.
    Miriam schaute mir direkt in die Augen. „Sie vielleicht?“
    Abwehrend wedelte ich vor der Schachtel mit dem Blümchenpapier herum und schob dann die Hände in die Taschen meiner Jeans, während ich meinen Blick durch den Laden schweifen ließ. „Das ist nicht unbedingt mein Stil.“
    Lachend räumte sie das Papier beiseite. Sie hatte ihre Nägel dunkelrot lackiert, passend zu ihrem Lippenstift. Hoffentlich würde ich in ihrem Alter ebenso stilsicher sein. Verdammt, ich wäre schon damit zufrieden gewesen, vom nächsten Tag an wenigstens halb so modebewusst zu sein wie sie.
    „Nun, wie wäre es mit einer Kleinigkeit für Sie selber? Ich habe ein paar neue Notizbücher. In Wildleder gebunden. Mit Goldschnitt. Und einem Bändchenverschluss“, ratterte sie herunter und deutete auf den Warenständer. „Schauen Sie sie sich an.“
    Ich stöhnte. „Sie sind herzlos, ist Ihnen das klar? Sie wissen ganz genau, dass Sie es mir nur zeigen müssen und … oh. Ohhh!“
    „Hübsch, nicht wahr?“
    „Ja.“ Ich betrachtete nicht die Notizbücher, sondern eine rote Lackschachtel, deren Deckel mit Schleifen befestigt war. In das polierte Holz war ein Muster aus rot-blauen Libellen gebeizt. „Was ist das hier?“
    Ich strich über den glatten Deckel und öffnete ihn. In dem Kästchen lagen auf schwarzem Satin ein kleines Tonschälchen, ein kleiner Behälter mit roter Tinte und mehrere Pinsel mit Holzgriffen.
    „Oh, das ist ein Kalligrafie-Set.“ Miriam kam um den Tresen herum, um ebenfalls den Inhalt der Schachtel zu betrachten. „Diese Sets kommen aus China. Aber dieses hier ist ein ganz besonderes. Dazu gehören auch Papier und Füllfedern, nicht nur Pinsel und Tinte.“
    Sie hob den oberen Teil des Kästchens hoch und zeigte mir einen Stapel Papier, der mit rotem Seidenband umwickelt war, und ein rotes Satinsäckchen mit Zugband, in dem ein Satz Füller mit Messingfedern steckte.
    „Das ist wunderschön.“ Ich zog meine Hände weg, obwohl ich die Federhalter, die Tinte und das Papier gern berührt hätte.
    „Genau was Sie brauchen, stimmt’s?“ Miriam ging wieder um den Tresen herum und setzte sich auf ihren Stuhl. „Wie für Sie gemacht.“
    Ich warf einen Blick auf das Preisschild und schloss mit Nachdruck den Deckel des Kästchens. „Ja. Aber nicht heute.“
    „Nein?“ Miriam schaute zur Decke. „Wie kommt es, dass Sie so genau wissen, was alle anderen brauchen, aber nicht, was Sie brauchen? Wirklich schade, Paige. Sie sollten es kaufen.“
    Von dem Geld, das dieses Kästchen kostete, konnte ich meine Kreditkartenrechnung bezahlen. Ich schüttelte den Kopf und legte ihn dann schief. „Warum sind Sie so überzeugt, ich wüsste, was alle anderen brauchen? Das ist eine ziemlich gewagte Behauptung.“
    Miriam riss eine Tüte Pfefferminzdrops auf und steckte sich einen in den Mund. Sie lutschte einen Augenblick an dem Bonbon, bevor sie mir antwortete. „Sie waren schon ziemlich oft hier. Ich habe erlebt, wie Sie Geschenke aussuchen und wie Sie Dinge für sich selber kaufen. Mir gefällt der Gedanke, dass ich Menschenkenntnis besitze. Dass ich verstehe, was Menschen brauchen und was ihnen gefällt. Warum stehen in meinen Regalen wohl solche Scheußlichkeiten herum? Weil es eine Menge Leute gibt, denen so etwas gefällt.“
    Ich folgte ihrem Blick in Richtung eines Regals, in dem weitere Porzellanclowns standen. „Etwas haben zu wollen, heißt nicht unbedingt, dass man es auch bekommen sollte.“
    „Dass Sie etwas unbedingt haben möchten, bedeutet nicht, dass Sie sich die Freude versagen sollten“, erklärte Miriam in heiterem Ton. „Gönnen Sie sich das Kästchen. Sie haben es
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