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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust
Autoren: Megan Hart
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verdient.“
    „Ich wüsste nicht, was ich damit schreiben sollte.“
    „Briefe an einen Liebsten“, schlug sie vor.
    „Ich habe keinen Liebsten.“ Wieder schüttelte ich den Kopf. „Tut mir leid, Miriam. Ich kann das heute nicht kaufen. Vielleicht ein andermal.“
    Sie seufzte. „Gut, gut. Verbieten Sie sich die Freude, etwas Schönes zu besitzen. Glauben Sie, dass Sie das nötig haben?“
    „Ich glaube, ich muss erst einmal meine Rechnungen bezahlen, bevor ich mir Luxusartikel kaufe.“
    „Aha. Vernünftig.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. „Praktisch veranlagt. Nicht sehr romantisch. So sind Sie.“
    „Das erkennen Sie an dem Papier, das ich kaufe?“ Ich stemmte die Hände in die Hüften. „Ich bitte Sie!“
    Miriam zuckte die Achseln, und in diesem Moment konnte ich ganz genau sehen, wie sie als junge Frau gewesen war. Dickköpfig, anmutig, schön. „Ich kann es an dem Papier erkennen, dass Sie nicht kaufen. Wenn Sie erst einmal eine alte Dame sind, werden Sie auch so weise sein wie ich.“
    „Das hoffe ich doch“, erklärte ich lachend.
    „Und ich hoffe, Sie kommen demnächst wieder vorbei und kaufen sich das Kästchen. Es ist für Sie bestimmt, Paige.“
    „Ich werde ganz sicher darüber nachdenken. In Ordnung? Reicht Ihnen das?“
    „Wenn Sie das Papier kaufen“, erklärte Miriam mir, „werden Sie ganz sicher etwas finden, das es wert ist, darauf niedergeschrieben zu werden.“

2. KAPITEL
    Sollen wir anfangen?
    Dies ist deine erste Aufgabe.
    Du wirst dich ganz genau an die Anweisungen halten. Fehler werden nicht akzeptiert. Die Strafe für Dein Versagen ist das Ende unseres Spiels.
    Dein Lohn werden meine Aufmerksamkeit und meine Anordnungen sein.
    Du wirst eine Liste mit zehn Punkten schreiben. Fünf Schwächen. Fünf Stärken.
    Schicke sie unverzüglich an die unten angegebene Adresse.
    Der quadratische Umschlag in meiner Hand hatte die sanften, kaum wahrnehmbaren Rillen von wirklich teurem Papier. Die Klappe war nicht gummiert. Der Rückumschlag, der der Nachricht beilag, war von derselben Qualität. Ich betrachtete die schwere cremefarbene Karte, die ich aus dem Umschlag gezogen hatte, immer wieder von vorne und von hinten. Das Material fühlte sich wie hochwertiges Leinen an. Ebenfalls sehr kostspielig. Ich strich an der leicht rauen Kante entlang. Möglicherweise war das Stück, welches ich in der Hand hielt, aus einem größeren Bogen herausgeschnitten worden. Es war nicht schwer genug, um als Briefkarte durchzugehen, jedoch zu dick für einen Tintenstrahldrucker.
    Ich hob den Umschlag an die Nase und schnupperte daran. Ein leichter Moschusduft ging von dem Papier aus, das glatt, aber auch porös war. Ich konnte den Geruch nicht identifizieren, aber zusammen mit dem Aroma von teurer Tinte und frischem Papier erregte er ein leichtes Schwindelgefühl in mir.
    Mit den Fingerspitzen strich ich über die schwarzen geschwungenen Buchstaben. Die Schrift war mir unbekannt, und der Brief war nicht unterschrieben. Jedes Wort präzise aufs Papier gebracht, jeder Buchstabe sorgfältig geformt, ohne die nachlässigen Schwünge, Häkchen und Windungen, die die Handschrift der meisten Menschen zeigt. Das hier sah geübt aus und effizient. Anonym.
    Der Rückumschlag war an ein Postfach in einer der örtlichen Postfilialen adressiert, ohne weitere Zusätze. Seit ich vor fünf Monaten ins Riverview Manor gezogen war, hatte ich einige Werberundschreiben erhalten, außerdem Spendenaufrufe, die an zwei der vorherigen Bewohner meines Apartments gerichtet waren, dazu viel zu viele Rechnungen. Ich hatte keinen einzigen privaten Brief bekommen.
    Wieder drehte ich die Karte um und lauschte dem leisen Wispern, mit dem meine Finger über das Papier strichen. Auf der Vorderseite stand weder eine Anschrift noch ein Name. Nur eine Zahl, die ebenso unpersönlich und sorgfältig geschrieben war wie die Nachricht. Ich schaute genauer hin und entdeckte, was ich vorher in der Eile nicht bemerkt hatte.
    114
    Das erklärte alles. Dieser Brief war nicht für mich bestimmt. Die Tinte war ein wenig verwischt, sodass die Eins auf den ersten Blick als Vier durchging. Jemand hatte den Umschlag versehentlich in meinen Briefkasten mit der Nummer 414 gesteckt.
    Wenigstens war es keine Einladung zu einer Geschenkparty für eine werdende Mutter oder zur Hochzeit von „Freunden“, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Ich legte keinen gesteigerten Wert darauf, nur deswegen auf eine Gästeliste gesetzt zu werden, um die
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