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Ann Pearlman

Ann Pearlman

Titel: Ann Pearlman
Autoren: Apfelblüten im August
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Zeit.«
    »Vermutlich machen wir uns dann andere Geldsorgen.« Ich nehme meine Gabel und fange an zu essen. Ein Haus zu kaufen kommt mir wie eine riesige Verpflichtung vor.
    »Wir haben mehr Spaß.« Er krönt sein Omelett mit ein paar Spritzern scharfe Sauce.
    »Wir können anderen Menschen helfen.«
    »Scheiße, das machen wir doch schon. Wir unterstützen die ganze Crew. Meine Freunde. Im Moment sind es natürlich hauptsächlich Spesen und Versprechungen.« Auch er spießt ein Stückchen Omelett auf die Gabel. »Davor waren wir in dieser gemütlichen Phase von Kampf und Hoffnung, wo man sich dauernd fragt, was wohl passieren wird. Weißt du noch, wie wir Texte und Musik geschrieben haben ohne jede Erwartung, nur für das Gefühl, das wir dabei hatten?« Er steckt den Bissen in den Mund. »Jetzt werden wir mit Gewissheit statt mit Hoffnung kreativ sein, weil unsere harte Arbeit sich auszahlt.« Er nickt. »Babe, es ist so weit. Wir sollten uns darüber verdammt freuen.«
    Manchmal spricht er genau das aus, was ich denke, ehe ich überhaupt weiß, dass ich es denke. Ich habe über unser Glück gestaunt, als unsere Demo-CD plötzlich Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und Prohibitions of Prison es auf Platz sieben der Rap-Charts geschafft hat, und dann war auf einmal diese Tour gebucht. Zuerst war ich total begeistert, aber dann war da plötzlich die Frage: Warum habe ich, warum haben wir so viel Glück? Es gibt andere, die genauso talentiert sind und vielleicht genauso hart arbeiten. Warum haben ausgerechnet wir plötzlich Erfolg?
    Schicksal?
    Karma?
    Zufall?
    Aarons Handy klingelt. »Hey, Red, bist du schon da?«
    Levy haut sein Omelett mit der Gabel in kleine Stückchen, die er dann mit den Fingern aufklaubt.
    »Benutz die Gabel zum Essen, Levy. Nicht die Finger.«
    Levy sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. Ich wische seine Hände ab, dann nimmt er die Gabel. Er hasst es, die Hände oder den Mund abgewischt zu kriegen.
    »Ist die Crew da?«
    »Du machst das gut mit der Gabel«, versuche ich Levy zu ermutigen.
    »Gib mir ungefähr dreißig«, sagt Aaron ins Telefon.
    Und so beginnt unser Tag.
    Unser letzter Tag vor dem Wirbelsturm. Aber vielleicht stecken wir ja auch schon mittendrin. Vielleicht stecke ich mittendrin, seit dem Tag, als ich Aaron kennengelernt habe.
    Das war vor fünfeinhalb Jahren, und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Und gleichzeitig, als wäre es gestern gewesen. Obwohl ich dagegen angekämpft habe, fühle ich, dass unsere Leben schon vor unserer Geburt miteinander verbunden waren.
    Ich war fünfzehn, als ich Aaron begegnet bin, und er war siebzehn. Er hat gesungen. Na ja, eigentlich nicht richtig gesungen, er hat eher seltsame Geräusche von sich gegeben, begleitet vom pappig-feuchten Flutschen seiner Farbrolle, mit der er die Wand angestrichen hat. Der nasse Kuss der weißen Farbe, das leise Sauggeräusch an der glatten Wand. Als man mich in den Raum führte, sang er Scat.
    »Du machst das Holz und die Ränder«, erklärte mir der Typ von Habitat for Humanity . »Oh, das ist übrigens Aaron. Aaron, das ist Tara.«
    Aaron nickte mir zu.
    »Hey«, sagte ich. Das war alles.
    Man gab mir einen Eimer weiße Farbe, einen Pinsel und eine kleine Schaumgummirolle. Aaron hörte auf zu singen, und wir arbeiteten schweigend. Er an der Wand, ich am Fensterrahmen. Ich hörte nichts außer der klebrigen Farbe, dem Surren seiner Rolle, dem Schmatzen des Pinsels, dem Rascheln unserer Klamotten auf der Haut. Das Haus war leer, und jedes Geräusch unserer Arbeit klang maßlos übertrieben.
    Stundenlang schienen wir so vor uns hin zu werkeln, jeder in seiner Ecke, jeder mit seiner eigenen Beschäftigung. Ich wollte etwas sagen, aber Smalltalk liegt mir nicht besonders.
    Also fing ich an, eine Melodie zu summen, er stimmte mit seinen lauteren, tieferen Bassgeräuschen ein, und so machten wir zusammen ziemlich seltsame Musik. Was viel leichter ist als Reden.
    Dann wurden wir albern, und ich fing an zu texten.
    Er steuerte das Geräusch seines Farbrollers bei. Dupwa, dupwa. Die Melodie floss dahin, genau wie die Worte, die mir in den Sinn kamen, während mein Pinsel die Farbe auf dem Fensterrahmen verteilte. Dann hörte Aaron mit der Percussion auf und ging zum Freestyling über.
    Schließlich legte er die Farbrolle weg, drehte sich zu mir um und fragte: »Wer bist du?«
    Achselzuckend antwortete ich: »Tara.«
    Seine Augen waren so tiefschwarz, dass ihr Blick wie ein Querschläger zwischen Himmel und
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