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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde
Autoren: Elisa Klapheck
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    E s begann in Michals Garten.
     
    Zwischen Obstbäumen und riesig hoch gewachsenem Gras sitzen Gabi, Rita und ich um einen verrosteten Gartentisch herum. Der Tisch sieht aus, als würde er schon seit Ewigkeiten an genau dieser Stelle stehen, allen Witterungen und Jahreszeiten ausgesetzt.
    Es ist ein wunderbarer frühsommerlicher Nachmittag im Jahre 1983.   Michal tritt durch die Hintertür des Hauses in den Garten. Hochschwanger hält sie ein großes Kuchenblech über ihren Bauch. Wir sehen ihr gespannt entgegen, niemand sagt etwas. Der Moment ist fast peinlich, aber irgendwie auch witzig. Auf dem Tisch liegen vier Bücher, die uns verlegen machen.
    Ich besitze meinen
Tanach
erst seit Kurzem. Für teures Geld habe ich mir das dicke, in schwarzes Leder eingebundene Werk in Hebräisch mit Übersetzung beim Victor-Goldschmidt-Verlag in Basel bestellt. Ich bin überhaupt nicht religiös. Die anderen auch nicht. »Gott« ist ein merkwürdiges Wort für mich. Auch die anderen Wörter, die mir in Verbindung mit der Bibel einfallen – Glaube, Gnade, Frommsein, Demut – finde ich befremdlich. Der Religionsunterricht in meiner Kindheit hat mich nicht überzeugt. Als ich 13   Jahre alt bin, nutze ich die erste Gelegenheit und wähle das Fach ab. Seitdem bin ich, wenn überhaupt, nur noch zu den hohen Feiertagen in die Synagoge gegangen. Ein Stündchen zu
Rosch Haschana
, bis ich das
Schofar
gehört habe, gerade mal zu
Kol Nidre
an
Jom Kippur
, wobei ich den Gottesdienst stets vor seinem Ende wieder verlasse – um zu essen, zu trinken, zu rauchen, was auch immer. Alle paarJahre mal einen
Seder
an
Pessach
, wobei es mir in bewanderterer jüdischer Gesellschaft stets unangenehm ist, dass ich außer dem
Ma Nischtana
keine anderen hebräischen
Pessach -Lieder
mitsingen kann.
    Neulich habe ich meiner Freundin und
Iwrit
-Lehrerin Michal vorgeschlagen, ab jetzt die Bibel in Hebräisch zu lesen – also das, was tatsächlich im Original steht. Es klingt geradezu verwegen. Ich bin selbst verblüfft von meiner Idee, und mehr noch von dem kühnen Unterton, den ich in meiner Stimme vernehme: »Let’s read the Bible in Hebrew!« Ich sei so weit. Michals promptes »Yeah   …« und ihr belustigtes Gesicht dazu bedeuten, dass sie auf die unterschwellige Verwegenheit reagiert – als heckten wir etwas aus, als würden wir uns auf ein verbotenes Feld wagen.
    Michal besuche ich regelmäßig, um von ihr
Iwrit
zu lernen. Dafür bringe ich ihr Deutsch bei. Vor noch nicht langer Zeit ist sie mit Sven in ein weit vom Hamburger Stadtzentrum entfernt gelegenes Häuschen gezogen. Beide sind Naturfreaks. Michal ist in einem Kibbuz in der Nähe des Gaza-Streifens aufgewachsen. Bevor die beiden nach Hamburg gekommen sind, haben sie irgendwo in der kanadischen Wildnis gelebt.
    Sven hat in einem Seitenteil des Gartens Beete angelegt, auf denen das Gemüse wächst, das er und Michal für sich zum Essen brauchen. Michal studiert nicht, arbeitet nicht und macht eigentlich auch sonst nicht so richtig etwas. Sie wartet auf ihr Kind. Zu unserem Treffen hat sie Gabi eingeladen, ebenfalls eine Israelin, die aber schon seit Jahren in Deutschland lebt, eine Zeit lang Psychologie studiert hat und jetzt in einem Hamburger Blumengeschäft arbeitet. Ich habe Rita mitgebracht. Sie stammt aus Köln und hat dort, ähnlich wie ich früher in Düsseldorf, den Kindergarten der Jüdischen Gemeinde und später deren Religionsunterricht besucht. Jetzt studiert sie an der Hamburger Kunsthochschule Buchillustration und -design.
    Wir sitzen also in Michals verwunschenem, verwildertem Garten mit den vier dicken Bibeln, die zwischen den Kaffeetassen und Kuchentellern auf dem verrosteten Gartentisch liegen,und sehen schweigend zu, wie Michal den Pflaumenkuchen anschneidet. Plötzlich platzt sie, als wäre es ein Gag, in die gespannte Stille hinein:
    »Bereschit bara Elohim et haschamajim we’et ha’arez!«
(»Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.«)
    Alle lachen.
    Rita setzt eins drauf:
    »We ha’arez haijta tohu wawohu!«
(»Und die Erde war wüst und leer.«)
    Noch mehr Gelächter.
    Wie von selbst nehmen wir unsere Bibeln und schlagen sie auf.
     
    Zum ersten Mal sehe ich den ersten Satz in seinen hebräischen Buchstaben. Flirrend, weil noch ungewohnt, sprechen sie mich aus archaischer Ewigkeit an. Der erste Buchstabe: ein großes, fett geschriebenes
Bet
(B), dem eine Reihe von sieben hebräischen Wörtern folgt, mit vokalisierenden Punkten und Strichen über und unter,
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