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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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Eine Telefonnummer hätte ich auch nicht hinterlassen. Vermutlich sei ich in einer anderen Stadt. Ein anderer Anwalt wurde als Retter präsentiert und schon hatte man den Fall. Alles andere war Nebensache. Und so saß ich in meinem neuen Büro.

    Irgendwann war ich nicht mehr im Stande, so viele Mandate zu beschaffen, dass die ganze Kanzlei davon leben konnte. Meine Kollegen, die ja Untermieter waren, wurden unruhig. Offensichtlich waren sie davon ausgegangen, dass immer auch Mandate für sie anfallen würden. Sie sahen die Miete quasi als Nutzungspauschale für die Büroinfrastruktur und gleichzeitig als Vertriebsprämie, um auch genug Fälle zu bekommen, die sie dann nur noch bearbeiten müssten und das Honorar einnehmen könnten. Die Kanzlei war für sie nicht ein gemeinsames Projekt, sondern ein Selbstbedienungsladen. Persönliches Engagement und Verantwortung, das wurde jetzt klar, wollte offensichtlich keiner einbringen.
    Dieser Zustand musste geändert werden, sollte die jetzige Kanzlei mit ihrer Struktur Bestand haben. Eine Besprechung stand an, in der die Zukunft und die damit verbundenen Maßnahmen besprochen, Aufgaben verteilt und Zeitpläne zur Umsetzung verabschiedet werden sollten. Alle hatten das gleiche Mitspracherecht und das gleiche Stimmgewicht. Anders als in der alten Kanzlei wurde nicht von einem oder von wenigen bestimmt, was wer machen muss.
    Wir trafen uns alle im Besprechungszimmer. Alle Anwälte und sogar die Sekretärin waren dabei. Jeder nahm mit einer Tasse Kaffee am Konferenztisch Platz. Ich hatte einen Packen Unterlagen dabei, in denen meine Vorstellungen für die Zukunft notiert waren.
    »Schön, dass alle Zeit gefunden haben. Wir haben ein wichtiges und wie ich finde auch schönes Thema zu besprechen. Es geht um die Zukunft der Kanzlei und damit auch um unsere Zukunft«, leitete ich die Sitzung ein.
    Ich schilderte die Situation und dass es für mich nicht möglich sei für alle zu akquirieren, die geplante Aufgabenverteilung und natürlich die düsteren wirtschaftlichen Prognosen, falls nichts geändert würde. Ich hatte eine lebhafte Diskussion
erwartet, schließlich waren sie alle jüngere Kollegen, die noch einige Jahre im Berufsleben vor sich hatten. Da sollte eine gute Zukunftsplanung eigentlich ein Thema sein, das alle dazu anregt, sich einzubringen und Lösungen zu suchen. Leider irrte ich mich. Es kam nichts. Keine Idee, kein Ansatzpunkt für eine Lösung und auch keine Initiative, eine Aufgabe zu übernehmen. Regungslos saßen sie alle da, mit einem auf die Tischplatte gerichteten Blick, und wenn einer etwas sagte, dann waren das nur wenig hilfreiche Allgemeinplätze wie: »Wir sollten mehr Mandanten haben.« Wenn es dann um die Frage des Wie, Wer und Womit ging, herrschte wieder Schweigen.
    Die Besprechung kam nicht voran. Sie endete damit, dass ich vorschlug, jeder sollte sich zu den Themen Gedanken machen und Vorschläge entwickeln. In der folgenden Woche wollten wir wieder zusammenkommen und dann die Zukunft gestalten.

    Aber statt einen Plan zu machen, wie man gemeinsam den Karren aus dem Dreck ziehen könnte, kündigten die Untermieter und zogen weiter zum nächsten Anwalt, von dem sie hofften, dass dort Mandate für sie abfallen würden. Keiner hatte den Mumm gehabt, sich ins Zeug zu legen und für unsere Kanzlei aktiv zu werden. Wie jämmerlich! Anstatt etwas zum Guten zu verändern, haben sie lieber aufgegeben und sich an anderer Stelle versorgen lassen. Das machte mich wütend. Sich nur versorgen zu lassen ohne echte Gegenleistung ist ungerecht, denn Gerechtigkeit heißt schließlich Ausgleich und nicht Eigenversorgung auf Kosten anderer.
    Nun war ich völlig allein in meinem Büro. Alle Kosten hingen an mir, irgendwelche Abfederungen gab es nicht mehr. Mein Traum von einer Kanzlei mit mehreren gleichberechtigten Anwälten, die sich gemeinsam der Gerechtigkeit verschrieben hatten, war geplatzt. Doch ich wollte noch nicht aufgeben.

    Mithilfe einer Stellenanzeige wollte ich es noch einmal versuchen und Kollegen finden, mit denen sich eine Zukunft gestalten ließ.
    Und so begannen bald danach einige Gespräche, die alle irgendwie gleich liefen. Die Bewerber fragten nicht nach dem, was sie beitragen konnten, und Gerechtigkeit war schon gar kein Thema. Nein, sie checkten zum Teil nur ab, was es bei mir zu holen gab und ob sie in meinem Windschatten absahnen konnten. Die Bereitschaft, sich persönlich, ideell und wirtschaftlich einzubringen, war jedoch gleich null. Ich
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