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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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suchte aber Partner, die mit mir gleichberechtigt, aber auch gleich verpflichtet den Kampf für Gerechtigkeit aufnahmen. Doch alle, mit denen ich sprach, dachten nur in den Kategorien eines geregelten Arbeitsverhältnisses und es war ihnen mehr als gleichgültig, was und wen sie vertraten - Hauptsache, das Geld stimmte. Egal, woher es kam. Den steinigen Weg der Gerechtigkeit nehmen, wenn man sich doch auch bequem durchschlängeln konnte, das kam den meisten nicht in den Sinn. Solche Anwälte hatte ich zuvor schon im Büro, die wollte ich nicht mehr.

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    Aber Aufgeben kam für mich nicht infrage. Ich wollte weiter nach gleichgesinnten Kollegen suchen und eine neue Kanzlei aufbauen. Die Zwischenzeit würde ich schon irgendwie überbrücken.
    So war ich jeden Tag allein in meinem Büro und musste alle anfallenden Arbeiten allein erledigen: Schreiben tippen, Anrufe entgegennehmen, Post holen, Briefmarken kaufen, Akten kopieren, kleine Reparaturen vornehmen, das Geschirr abwaschen, das die Mandanten bei einem Besuch benutzt hatten, usw. Zugleich war es eine sehr einsame Zeit, denn mit Ausnahme einiger weniger Telefonate und Mandantengespräche hatte ich keine Gelegenheit, mich mit anderen auszutauschen. Mir fehlte die Betriebsamkeit einer Kanzlei, die Gespräche mit Kollegen.
    Stille und Ruhe sind eigentlich inspirierend. Aber nur, wenn es auch zur Situation und Umgebung passt. Oder wenn man die Ruhe freiwillig wählt. In allen anderen Situationen fühlt es sich an wie Eingesperrtsein. Es gab keine Möglichkeit, auch nur das Geringste zu besprechen. Besonders gut erinnerte ich mich an den Tag, an dem ich mich mit meinem Handy selbst anrief, um das Telefon läuten zu hören.
    In solchen Situationen wird man mit den eigenen tatsächlichen und vermeintlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert. Zweifel an der eigenen Leistung und der eigenen Person kriechen ins Bewusstsein und bauen sich langsam zu Felsblöcken auf, die einem den Blick, die Perspektive versperren.
    Der Weg, den ich gewählt hatte, war offen und ungewiss, jetzt wirkte er auf mich gefährlich und bedrohlich. Ich hatte mich so in mein Streben nach Gerechtigkeit verrannt, dass ich nur noch für meine Fälle und die Kanzlei da war. Freunde hatten
sich zurückgezogen, weil sie irgendwann das Gefühl hatten, bloß zu stören. Und die vielen Bekannten, die ich einst hatte, waren noch schneller von der Bildfläche verschwunden. Alte Freunde einfach anzurufen kam mir nicht in den Sinn, denn ich war der Auffassung, ich hätte sie verprellt mit meinem Verhalten. Zum Glück für mich stellte sich diese These zu einem viel späteren Zeitpunkt als falsch heraus. Ich erkannte, dass es keinen Job der Erde gibt, der einem Freunde und Gemeinsamkeit ersetzen kann. Nicht einmal heranreichen an dieses schöne Gefühl der Geselligkeit und Verbundenheit kann er. Allein und nur auf sich gestellt ist ein Mensch immer unglücklich, ein Job kann nur ablenken und die Zeit vertreiben, mehr nicht. All das lernte ich in dieser Zeit.

    Immer mehr zog ich mich in mich selbst zurück, fühlte mich ausgebrannt und kraftlos. Natürlich schreckte ich in dieser Verfassung jeden Interessenten für eine Zusammenarbeit ab. Waren es vorher aus meiner Sicht keine guten Partner, so war nun ich kein guter Partner mehr. Ich war traurig, missmutig, zynisch und verbittert. Kein Wunder, dass ich in meinem Büro allein blieb.
    Diese Situation, in der ich versuchte, meine Werte zu hüten und alles allein zu regeln und zu bearbeiten, würde nicht mehr lange gut gehen. Immer so weitermachen war unmöglich, aber aufgeben wollte ich auch nicht. Aber dann folgte schon der nächste Schlag.

    Der Kanzleivermieter kündigte den Vertrag zum Ablauf der regulären Mietzeit und bot mir gleichzeitig einen neuen Vertrag an. Einen Vertrag, bei dem die Miete deutlich höher lag als bisher. Neue Räume zu finden war schwer, denn gute Büros liegen in einer Großstadt nicht auf der Straße. Und unter Zeitdruck war es beinahe unmöglich. Dieses gierige Verhalten
des Vermieters machte mich sehr wütend. Denn das war lediglich eine Preiserhöhung, ohne dass dafür ein echter Gegenwert geboten wurde. Alles, was ich bekam, war, dass ich mich von dem Druck, den der Vermieter selbst geschaffen hatte, freikaufte. In meine Wut mischte sich aber auch eine Art Erleichterung. Schließlich waren es die Kosten, die mich stark bedrängten, denn ich trug sie immer noch allein. Zudem wollte ich einen Platz, an dem ich meine Ideale leben konnte.
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