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Angst in deinen Augen

Angst in deinen Augen

Titel: Angst in deinen Augen
Autoren: Tess Gerritsen
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auf den Rücksitz und stieg ein. Sie konnte nur hoffen, dass wenigstens der Sitz sauber war.
    Detective Stockfisch kam auf das Auto zu. Er wirkte verschwitzt und mitgenommen. Die Hemdsärmel waren jetzt hochgekrempelt, seine Krawatte war gelockert. Selbst jetzt, wo er sich anschickte, den Ort des Geschehens zu verlassen, zogen ihn immer wieder Polizeikollegen beiseite, weil sie noch irgendetwas wissen wollten.
    Schließlich glitt er hinters Steuer und schlug die Tür zu. „Okay, wo wohnt Ihre Mutter?“
    „Cape Elizabeth. Schauen Sie, Detective, ich sehe, dass Sie viel zu tun haben …“
    „Mein Partner hält hier die Stellung. Ich setze Sie ab, spreche mit Ihrer Mutter und fahre dann gleich noch bei Reverend Sullivan im Krankenhaus vorbei.“
    „Na prächtig. Auf diese Weise schlagen Sie sogar drei Fliegen mit einer Klappe.“
    „Ich glaube an Effizienz.“
    Während der Fahrt hüllten sie sich in Schweigen. Sie sah keinen Grund, höflich Konversation zu machen. Höflichkeit würde über den Horizont des Mannes hinausgehen. Deshalb schaute sie aus dem Fenster und dachte mit Gram an die geplatzte Feier und das kalte Büfett, das immer noch auf die Gäste wartete. Sie würde eine Suppenküche anrufen und das Essen abholen lassen müssen, bevor es verdarb. Und dann die ganzen Geschenke, die sich zu Hause stapelten. Einspruch – die sich bei Robert zu Hause stapelten. Es war nie wirklich ihr Zuhause gewesen. Sie hatte nur dort gewohnt, als Untermieterin. Es war ihre Idee gewesen, die Hälfte der Miete zu übernehmen. Robert hatte wiederholt darauf hingewiesen, wie sehr er ihre Unabhängigkeit zu schätzen wusste. Sie hatten sich von Anfang an alle anfallenden Kosten geteilt, und das hatten sie die ganze Zeit über so gehalten. Tatsächlich war ihr immer daran gelegen gewesen, ihm zu zeigen, wie unabhängig sie war.
    Jetzt erschien ihr das alles so dumm.
    Ich war nie unabhängig, dachte sie. Ich habe immer nur davon geträumt, eines Tages Mrs. Robert Bledsoe zu sein. Es war das, was sich ihre Familie für sie erhofft hatte, was ihre Mutter von ihr erwartet hatte: sich gut zu verheiraten. Sie hatten nie verstanden, dass Nina eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht hatte, sie hatten es immer nur als einen Weg betrachtet, wie sie eine gute Partie machen konnte. Einen Arzt heiraten. Gut, sie hatte einen kennengelernt.
    Und alles, was ich davon habe, ist ein Berg Geschenke, den ich zurückgeben muss, ein Brautkleid, das ich nicht zurückgeben kann, und einen Tag, den ich nie, nie vergessen werde.
    „Sie halten sich sehr gut“, sagte er.
    Überrascht darüber, dass Detective Stockfisch gesprochen hatte, schaute sie ihn an. „Wie bitte?“
    „Sie nehmen das sehr gelassen. Gelassener, als es die meisten anderen tun würden.“
    „Ich weiß nicht, was ich anderes machen sollte.“
    „Nach einem Bombenanschlag wäre Hysterie nichts Außergewöhnliches.“
    „Ich arbeite in der Notaufnahme, Detective. Ich neige nicht zu hysterischen Anfällen.“
    „Trotzdem muss es ein Schock für Sie sein. Die Auswirkungen könnten noch kommen.“
    „Wollen Sie etwa damit sagen, das sei jetzt einfach nur die Ruhe vor dem Sturm?“
    „Irgend so was.“ Er streifte sie mit einem kurzen Seitenblick. Genauso schnell schaute er wieder auf die Straße. „Warum war Ihre Familie nicht mit Ihnen in der Kirche? Ich hätte erwartet, dass sie Ihnen beistehen.“
    „Ich habe sie alle nach Hause geschickt.“
    „Eigentlich sollte man meinen, dass Sie sie in einem solchen Moment gern als Stütze um sich gehabt hätten. Das würde den meisten Menschen so gehen.“
    Sie schaute aus dem Fenster. „Meine Familie eignet sich nicht sonderlich gut als Stütze. Und ich nehme an, ich wollte … ich musste einfach allein sein. Wenn ein Tier verletzt ist, zieht es sich zurück und leckt seine Wunden, Detective. Das war es, was ich brauchte …“ Sie blinzelte einen unerwarteten Tränenschleier weg und verfiel in Schweigen.
    Eine Viertelstunde später klingelte sie an der Haustür ihrer Mutter Sturm und konnte es gar nicht erwarten, dass sich die Tür öffnete. Sie hatte das Gefühl, gleich auseinanderzufallen.
    Die Tür ging auf. Lydia, noch immer elegant zurechtgemacht, starrte ihre derangierte Tochter an. „Nina? Oh, meine arme Nina!“ Sie breitete die Arme aus.
    Automatisch warf Nina sich hinein. Sie sehnte sich so nach einer Umarmung, dass ihr nicht auffiel, wie sich ihre Mutter ein bisschen zurückzog, damit ihr grünes Seidenkleid nicht
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