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Angst in deinen Augen

Angst in deinen Augen

Titel: Angst in deinen Augen
Autoren: Tess Gerritsen
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Auflösung.
    In plötzlicher Wut riss sie sich den Schleier herunter. Haarnadeln spritzten in alle Himmelsrichtungen auseinander und gaben eine wilde schwarze Mähne frei. Zum Teufel mit dem Schleier! Sie feuerte ihn in den Papierkorb. Dann schnappte sie sich ihren Brautstrauß aus weißen Lilien und rosa Rosen und stopfte ihn ebenfalls in den Müll. Es war eine Erleichterung. Ihr Zorn rauschte ihr wie ein Brennstoff durch die Adern, der sie von ihrem Stuhl aufspringen ließ.
    Sie verließ, ihre Schleppe hinter sich herziehend, den Raum und betrat das Mittelschiff.
    Die Bankreihen waren leer. Die Gänge und der Altar waren mit Blumen geschmückt. Die Bühne war für eine Hochzeit bereitet, die nicht stattfinden würde. Doch Nina bemerkte die Früchte, die die harte Arbeit der Floristin getragen hatte, kaum, als sie zielstrebig den Mittelgang hinunterging. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf das Portal gerichtet. Auf ihr Entkommen. Selbst die besorgte Stimme von Reverend Sullivan konnte sie nicht veranlassen, ihre Schritte zu verlangsamen. Sie ging an den blumigen Erinnerungen an das Fiasko des heutigen Tages vorbei durch die schweren Doppeltüren.
    In der Mitte der Treppe blieb sie stehen. Die Julisonne blendete sie, und sie war sich mit plötzlicher Schärfe bewusst, wie sehr eine Frau allein in einem Brautkleid auffallen musste, die versuchte, sich ein Taxi heranzuwinken. Erst in diesem Moment, in dem sie im grellen Licht des Nachmittags gefangen war, spürte sie die Tränen kommen.
    Oh nein, Gott, nein. Gleich würde sie hier mitten auf der Treppe zusammenbrechen und weinen. Und jeder, der auf der Forest Avenue vorbeifuhr, würde es sehen.
    „Nina? Nina, Liebe.“
    Sie drehte sich um. Reverend Sullivan stand ein paar Stufen über ihr und schaute sie mit einem Ausdruck von Besorgnis auf dem freundlichen Gesicht an.
    „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“, fragte er. „Wenn Sie möchten, können wir hineingehen und reden. Ich würde Ihnen gern helfen.“
    Sie schüttelte unglücklich den Kopf. „Ich möchte nur weg von hier. Bitte, ich will einfach nur weg.“
    „Aber natürlich.“ Er nahm sanft ihren Arm. „Ich fahre Sie nach Hause.“
    Reverend Sullivan führte sie die Treppe nach unten und um die Kirche herum auf den Parkplatz. Nina griff nach ihrer Schleppe, die ganz schmutzig war, und stieg in seinen Wagen. Dort saß sie dann mit einem riesigen Satinknäuel auf dem Schoß da und starrte schweigend vor sich hin.
    „Sie beide sind zweifellos die Versager des Jahres.“
    Sam Navarro, Polizeidetective aus Portland, der dem offensichtlich aufgebrachten Norm Liddell gegenübersaß, zuckte mit keiner Wimper. Sie saßen zu fünft in einem Besprechungsraum der Polizeistation, und Sam dachte gar nicht daran, dieser Primadonna von Bezirksstaatsanwalt die Genugtuung zu verschaffen, dass er zusammenzuckte. Genauso wenig aber hatte er die Absicht, sich zu verteidigen, denn sie hatten es vermasselt. Er und Gillis hatten die Sache vermasselt, und jetzt war ein Polizist tot. Ein Idiot zwar, aber dennoch ein Polizist. Einer von ihnen.
    „Wir müssen allerdings zu unserer Verteidigung sagen“, ergriff Sams Partner Gordon Gillis das Wort, „dass wir Marty Pickett keine Erlaubnis gegeben haben, das Gelände zu betreten. Wir wussten nicht, dass er hinter die Absperrung …“
    „Sie hatten die Verantwortung“, unterbrach ihn Liddell.
    „Halt, Moment mal“, widersprach Gillis. „Officer Pickett trifft auch ein Teil der Schuld.“
    „Pickett war ein Grünschnabel.“
    „Er hätte sich an die Vorschriften halten müssen. Wenn er …“
    „Klappe, Gillis“, sagte Sam.
    Gillis schaute seinen Partner an. „Sam, ich versuche nur, etwas richtig zu stellen.“
    „Da wir offensichtlich als Sündenböcke herhalten sollen, hilft uns das rein gar nichts.“ Sam lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute Liddell über den Konferenztisch hinweg an. „Was fordern Sie, Herr Staatsanwalt? Eine öffentliche Tracht Prügel? Unsere Entlassung?“
    „Kein Mensch fordert Ihre Entlassung“, gab Liddell zurück. „Aber wir haben einen toten Polizisten …“
    „Glauben Sie, das weiß ich nicht?“, brauste jetzt Chief Coopersmith auf. „Schließlich bin ich es, der sich den Fragen der Witwe stellen muss. Ganz zu schweigen von diesen blutsaugenden Reportern. Kommen Sie mir nicht mit diesem Wir- und Uns-Mist, Herr Staatsanwalt. Es war einer von uns, der hier umgekommen ist. Ein Polizist. Kein Anwalt.“
    Sam schaute seinen
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