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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet
Autoren: Hermann Koch
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mir ähnelt. Wie er manche Dinge genauso macht wie ich. Kleine Bewegungen. Ich zwirbel zum Beispiel gerne mein Haar, ich drehe kleine Strähnen, wenn ich mich langweile oder ich mich über etwas aufrege … ich … ich habe auch eine Tochter. Sie ist drei und gleicht ihrer Mutter wiederum wie ein Ei dem anderen. In allem.«
    Ich nahm die Rechnung aus dem Schälchen und sah auf den Endbetrag. Ich werde mich jetzt nicht weiter darüber auslassen, was man alles mit dem Geld hätte machen können, und auch nicht darüber, wie viele Tage ein normaler Mensch dafür arbeiten musste – ohne jedenfalls von der Schildkröte in dem weißen Rollkragenpullover dazu gezwungen zu werden, wochenlang Teller hinten in der offenen Küche abzuwaschen. Den Betrag selbst werde ich nicht nennen, es handelte sich um eine Summe, die einen auflachen lässt. Und das tat ich dann auch.
    »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Abend«, sagte der Maître d’hôtel – aber er ging noch immer nicht weg. Er berührte das nun leere Schälchen kurz mit den Fingerspitzen, verschob es ein paar Zentimeter auf dem Tischtuch, nahm es hoch und stellte es daraufhin wieder ab.

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    45
    »Claire?«
    Zum zweiten Mal an diesem Abend hatte ich die Tür zur Damentoilette geöffnet und ihren Namen gerufen. Aber es kam keine Antwort. Draußen hörte ich irgendwo das Martinshorn eines Polizeiwagens. »Claire?«, rief ich noch einmal. Ich ging ein paar Schritte in den Raum, an der Vase mit den weißen Narzissen vorbei, und stellte fest, dass alle Toiletten unbesetzt waren. Das zweite Martinshorn hörte ich, als ich an der Garderobe und dem Stehpult vorbei zum Ausgang lief. Durch die Bäume hindurch konnte ich nun das Blaulicht auf der Höhe der Kneipe für Normalos erkennen.
    Loszurennen wäre die natürliche Reaktion gewesen – aber das tat ich nicht. Allerdings fühlte ich etwas Schweres und Düsteres an der Stelle, wo sich, wie ich wusste, mein Herz befand: Ich spürte einen Druck, doch ich war gefasst. Das düstere Gefühl in meiner Brust hatte etwas mit der Gewissheit zu tun, dass das Unvermeidliche geschehen würde.
    Meine Frau, dachte ich.
    Erneut kam die große Versuchung auf, loszurennen. Um außer Atem an der Kneipe anzukommen – wo man mich ganz bestimmt an der Tür zurückhalten würde.
    Meine Frau!, würde ich keuchen. Meine Frau ist dort drin!
    Und genau dieses Bild, das ich mir von dem Vorfall dort machte, sorgte dafür, dass ich meinen Schritt verlangsamte.Ich erreichte den Kiespfad, der zur Brücke führte. Zu dem Zeitpunkt, als ich ihn betrat, war mein Gang bereits schleppend, ich konnte es am Knirschen meiner Schuhe im Kies hören, an den Intervallen zwischen den Schritten – ich bewegte mich in Zeitlupentempo.
    Ich legte eine Hand auf die Brückenbrüstung und blieb stehen. Die Blaulichter spiegelten sich in der dunklen Wasseroberfläche unter meinen Füßen. Zwischen den Bäumen hindurch war jetzt die Kneipe auf der gegenüberliegenden Seite gut zu erkennen. Schräg auf dem Bürgersteig und vor der Terrasse standen drei Polizeiwagen und ein Krankenwagen.
    Nur ein Krankenwagen. Nicht zwei.
    Es war angenehm, so ruhig zu sein, all diese Dinge so zu beobachten – fast als hätten sie nichts miteinander zu tun – und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Ich fühlte mich so, wie ich mich schon öfter in Krisenzeiten gefühlt hatte (Claires Einlieferung ins Krankenhaus; Serges und Babettes missglückter Versuch, mir meinen Sohn wegzunehmen; die Bilder der Überwachungskamera): Ich hatte gespürt und spürte es erneut, dass ich auch gefasst handeln konnte. Effizient handeln.
    Ich blickte zur Seite, zum Eingang des Restaurants, wo sich inzwischen ein paar Kellnerinnen versammelt hatten, offenbar war ihre Neugierde von dem Martinshorn und dem Blaulicht geweckt worden. Ich meinte unter ihnen auch den Maître d’hôtel zu erkennen, ich sah nämlich, wie sich ein Mann im Anzug eine Zigarette anzündete.
    Ich dachte zunächst, man würde mich vom Eingang aus wahrscheinlich nicht erkennen können, doch dann erinnerte ich mich daran, wie ich Michel ein paar Stunden zuvor ziemlich deutlich über die Brücke hatte heranradeln sehen.
    Ich musste weitergehen. Ich konnte nicht länger stehen bleiben. Ich durfte nicht das Risiko eingehen, dass später eine von den Kellnerinnen aussagen würde, es habe ein Mann ander Brücke gestanden. »Sehr seltsam. Er stand da einfach. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Information dienlich ist?«
    Ich holte Babettes Handy
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