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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet
Autoren: Hermann Koch
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Genuss war, mir das mitteilen zu können. Etwas war da in seinen Augen, als würde er mich auslachen.
    Claire wühlte in ihrer Tasche herum, holte ihr Handy heraus, warf einen Blick drauf und verstaute es wieder in der Tasche.
    »Das ist doch wirklich die Höhe«, sagte ich, als der Maître d’hôtel sich wieder entfernt hatte. »Erst raubt er uns unsere Kneipe. Unseren Sohn. Und jetzt das hier. Und zudem besagt das rein gar nichts. Es besagt nichts, dass er eine Rechnung bezahlen kann.«
    Claire griff erst nach meiner rechten, dann nach meiner linken Hand.
    »Du brauchst ihn nur zu verletzen«, sagte sie. »Mit einem ramponierten Gesicht wird er keine Pressekonferenz abhalten. Oder mit einem gebrochenen Arm in der Schlinge. Da wäre der Erklärungsbedarf zu hoch. Selbst für Serge.«
    Ich sah in die Augen meiner Frau. Sie hatte mich soeben darum gebeten, den Arm meines Bruders zu brechen. Oderihm das Gesicht zu lädieren. Und das alles aus Liebe, aus Liebe zu unserem Sohn. Zu Michel. Ich musste an die Mutter denken, die vor Jahren in Deutschland im Gerichtssaal den Mörder ihres Kindes erschossen hatte. So eine Mutter war Claire auch.
    »Ich habe meine Medikamente nicht genommen«, sagte ich.
    »Ja.« Claire schien nicht überrascht zu sein, sanft strich sie mit einer Fingerspitze über meinen Handrücken.
    »Ich meine, schon seit längerer Zeit nicht. Seit Monaten nehme ich sie nicht mehr.«
    Es stimmte: Kurz nach der Sendung von Aktenzeichen XY hatte ich damit aufgehört. Ich hatte das Gefühl, mein Sohn hätte weniger von mir, wenn meine Emotionen tagaus, tagein gedämpft wären. Meine Emotionen und meine Reflexe. Wenn ich Michel meinen hundertprozentigen Beistand geben wollte, musste ich zuerst dafür sorgen, mein altes Ich wieder zurückzugewinnen.
    »Das weiß ich«, sagte Claire. Ich sah sie an.
    »Du glaubst vielleicht, die anderen würden das nicht merken«, sprach Claire. »Na ja, die anderen … deine Frau. Deine Frau merkt das sofort. Manches war … anders. Wie du mich angeschaut hast, wie du mir zugelacht hast. Und es gab diese eine Situation, als du deinen Ausweis nicht finden konntest. Weißt du noch? Als du gegen die Schubladen von deinem Schreibtisch getreten hast. Von dem Tag an habe ich darauf geachtet. Du hast deine Medizin mitgenommen, wenn du rausgegangen bist, und dann hast du sie irgendwohin geworfen. Stimmt’s? Einmal habe ich eine Hose von dir aus der Waschmaschine genommen, an der Hosentasche war sie vollkommen blau verfärbt! Tabletten, die du vergessen hattest wegzuwerfen.«
    Claire musste lachen – nur ganz kurz, dann wurde sie wieder ernst.
    »Und du hast nichts gesagt«, erwiderte ich.
    »Anfangs habe ich noch gedacht: Was macht er da? Aber plötzlich erkannte ich meinen alten Paul wieder. Und da wusste ich es: Ich wollte meinen alten Paul zurückhaben. Inklusive dem Paul, der seine Schreibtischschubladen eintritt, und dann das eine Mal, als der Motorroller kurz vor dir auf die Straße schoss. Als du ihn verfolgt hast …«
    Und das Mal, als du Michels Schulrektor krankenhausreif geschlagen hast, dachte ich, würde Claire jetzt sagen. Aber sie sagte es nicht. Sie sagte etwas anderes.
    »Das war der Paul, den ich liebte … Den ich liebe. Das ist der Paul, den ich liebe. Mehr als alles oder jeden auf der Welt.«
    In ihren Augen glänzte etwas, sogar ich spürte nun ein Brennen in den Augen.
    »Dich und natürlich auch Michel«, sagte meine Frau. »Dich und Michel beide gleich stark. Gemeinsam seid ihr das, was mich am glücklichsten macht.«
    »Ja«, sagte ich; meine Stimme klang heiser, sie piepste ein wenig. Ich räusperte mich.
    »Ja«, sagte ich nochmals.
    So saßen wir uns eine Weile schweigend gegenüber, meine Hände lagen noch immer in denen meiner Frau.
    »Was hast du mit Babette besprochen?«, fragte ich.
    »Was?«
    »Im Garten. Bei eurem Spaziergang. Babette schien außerordentlich erfreut zu sein, als sie mich sah. ›Lieber Paul …‹, sagte sie! Was hast du ihr gesagt?«
    Claire holte tief Luft. »Ich habe ihr gesagt, du würdest etwas tun. Du würdest etwas tun, damit die Pressekonferenz nicht stattfindet.«
    »Und Babette findet das in Ordnung?«
    »Sie will, dass Serge die Wahl gewinnt. Besonders stark hat Babette aber gekränkt, dass er es ihr erst im Auto auf dem Weghierher erzählt hat. Damit ihr keine Zeit mehr blieb, ihm den Unsinn auszureden.«
    »Aber hier am Tisch hat sie eben doch noch gesagt –«
    »Babette ist schlau, Paul. Serge darf später auf
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