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Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Susan Ee
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Anstrengung heiß gelaufen.
    Wir befinden uns in einem Bürogebäude, einem der unzähligen Bauwerke, die die Hightech-Startups des Silicon Valley beherbergen. Das Gebäude, das ich mir ausgesucht habe, liegt in einem Industriepark, der sich aus identischen Blocks zusammensetzt. Sollte heute jemand vorhaben, ein Bürogebäude anzugreifen, kann ich nur hoffen, dass er sich eins der anderen aussucht, die genauso aussehen wie dieses hier.
    Und damit derjenige das auch wirklich tut, hat mein Gebäude eine Leiche im Foyer. Sie lag schon da, als wir hier eingetroffen sind, kalt, aber noch nicht im Zustand der Verwesung. Zu dem Zeitpunkt roch das Haus noch nach Papier und Toner, Holz und Politur, und es war nur eine Spur von Leichengeruch in der Luft. Mein erster Impuls war, uns einen anderen Unterschlupf zu suchen. Ich wollte schon nach draußen, als mir klar wurde, dass diesen Impuls fast jeder verspüren würde.
    Die Eingangstüren sind aus Glas, man kann die Leiche also von draußen sehen. Zwei Schritte hinter der Tür liegt der Tote, das Gesicht nach oben, mit aufklaffendem Mund und gespreizten Beinen. Für eine Weile mache ich das Gebäude nun zu meinem trauten Heim. Bis jetzt war es kalt genug hier drin, um zu verhindern, dass es allzu schlimm riecht, aber ich rechne damit, dass wir bald weitermüssen.
    Der Engel liegt auf der Ledercouch eines Eckbüros, das wohl mal irgendeinem Vorstandsvorsitzenden gehört hat. Die Wände sind mit gerahmten Schwarz-Weiß-Bildern des Yosemite-Nationalparks dekoriert. Auf den Regalen und dem Schreibtisch stehen Fotos von einer Frau und zwei gleich angezogenen Kleinkindern.
    Ich habe mir ein einstöckiges Haus ausgesucht, etwas Unauffälliges, nichts übermäßig Schickes. Das Gebäude ist schlicht, auf dem Firmenschild steht »Zygotronics«. In der Lobby befinden sich übergroße Sessel und Sofas, die mit ihren verwaschenen Lila- und den grellen Gelbtönen eher verspielt wirken. Neben den Büros steht ein zwei Meter großer Dinosaurier. Das alles kommt mir wie eine Retro-Version des Silicon Valley vor. Ich glaube, wenn ich meinen Schulabschluss hätte machen können, hätte ich danach gerne hier gearbeitet.
    Es gibt eine kleine Küche. Fast wäre ich in Tränen ausge brochen, als ich das Knabberzeug und die Wasserflaschen entdeckt habe, die sich in der Vorratskammer stapeln – Energieriegel sind da, Nüsse, kleine Schokoladentafeln und sogar eine Kiste Instantnudeln, solche, bei denen sich die Schüssel gleich mit in der Packung befindet. Warum habe ich nicht früher daran gedacht, in Büros nachzusehen? Wahrscheinlich, weil ich noch nie in einem gearbeitet habe.
    Den Kühlschrank lasse ich links liegen, denn ich weiß, da ist garantiert nichts drin, was man noch essen kann. Wir haben zwar noch Strom, aber nur unzuverlässig. Oft fällt er ganze Tage lang aus. Im Gefrierschrank muss sich noch Tiefkühlkost befinden, der Geruch erinnert ein wenig an die verfaulten Eier meiner Mutter. Das Bürogebäude hat sogar eine eigene Dusche. Wahrscheinlich für die übergewichtigen Chefs, die versuchen, in der Mittagspause abzunehmen. Wie auch immer, es kommt mir sehr gelegen, mir das Blut vom Körper waschen zu können.
    Man hat hier allen Komfort, den ich auch von zu Hause her kenne. Nur meine Familie ist nicht da, die das Ganze erst zu einem Zuhause machen würde.
    Bei all der Verantwortung und all dem Druck ist kaum ein Tag vergangen, an dem ich nicht gedacht hatte, dass ich ohne meine Familie glücklicher wäre. Doch wie sich jetzt herausstellt, stimmt das gar nicht. Vielleicht würde es stimmen, wenn ich mir nicht so schreckliche Sorgen machen würde. Ich kann nicht anders, als immerzu daran zu denken, wie froh Paige und meine Mutter gewesen wären, wenn wir diesen Unterschlupf gemeinsam gefunden hätten. Wir hätten uns eine Woche lang hier niederlassen und so tun können, als sei alles in Ordnung.
    Ich fühle mich haltlos, so ohne einen Clan, verloren und unbedeutend. Langsam verstehe ich, was all die frischge backenen Waisenkinder dazu bringt, sich den Straßengangs anzuschließen.
    Zwei Tage sind wir nun schon hier. Zwei Tage, in denen der Engel nicht gestorben ist und sich auch nicht erholt hat. Er liegt einfach nur da und schwitzt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er stirbt, sonst wäre er doch inzwischen aufgewacht, oder nicht?
    Unter dem Waschbecken finde ich einen Erste-Hilfe-Kasten, aber die Heftpflaster und die meisten anderen Utensilien darin eignen sich gerade mal für einen
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