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Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Susan Ee
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neben dem Lastwagen verstreut, hinter dem wir uns versteckt haben. Ich zögere, bevor ich rufe:
    »Mom!«
    Nichts regt sich in der verlassenen Straße. Sollten die stummen Beobachter hinter den dunklen Fenstern gesehen haben, wo sie hingelaufen ist, dann bietet niemand an, es mir zu sagen. Ich versuche mich zu erinnern, ob ich vielleicht bemerkt habe, wie ein anderer Engel meine Mutter gepackt hat, doch alles, was ich vor mir sehe, sind Paiges tote Beine, als sie aus ihrem Stuhl gehoben wird. Zu diesem Zeitpunkt hätte alles um mich herum passieren können, ich hätte nichts davon mitbekommen.
    In einer zivilisierten Welt mit Gesetzen, Banken und Supermärkten ist es ein großes Problem, an paranoider Schizophrenie zu leiden. Doch in einer Welt, in der diese Banken und Supermärkte von Gangs als lokale Folterstätten genutzt werden, ist so ein bisschen Paranoia sogar von Vorteil. Nur das mit der Schizophrenie ist leider nach wie vor ein Problem. Nicht in der Lage zu sein, die eigene Fantasie von der Realität zu unterscheiden – alles andere als ideal.
    Dennoch, die Chancen stehen gut, dass sich Mom aus dem Staub gemacht hat, bevor die Sache zu brenzlig wurde. Wahrscheinlich versteckt sie sich irgendwo und verfolgt meine Fährte, bis sie sich sicher genug fühlt, um rauszukommen.
    Wieder versuche ich mir einen Überblick über die Szene rie zu verschaffen. Außer Gebäuden mit dunklen Fenstern und Autoleichen sehe ich nichts. Wenn ich nicht Wochen damit zugebracht hätte, aus einem dieser dunklen Fenster nach draußen zu starren, würde ich glauben, ich sei der letzte Mensch auf dem Planeten. Doch ich weiß, dort draußen hinter all dem Beton und Stahl gibt es noch Augenpaare, deren Besitzer gerade darüber nachdenken, ob sich das Risiko lohnt, auf die Straße zu laufen, um die Flügel und vielleicht noch das ein oder andere Körperteil zu ergattern, das man dem Engel abtrennen könnte.
    Laut Justin, der bis vor einer Woche unser Nachbar war, geht auf den Straßen das Gerücht, dass eine Belohnung auf Engelskörperteile ausgesetzt wurde. Engel in Stücke zu reißen ist zu einem richtiggehenden neuen Wirtschaftszweig geworden. Die Flügel erzielen Höchstpreise, aber auch Hände, Füße, der Skalp und andere, empfindlichere Körperteile bringen ein hübsches Sümmchen ein, wenn man nur beweisen kann, dass sie von einem Engel stammen.
    Ein leises Stöhnen unterbricht meine Gedanken. Sofort spannen sich meine Muskeln, bereit für einen neuen Kampf. Rücken die Gangs an?
    Ein weiteres verhaltenes Stöhnen. Das Geräusch kommt nicht aus den Gebäuden, sondern von etwas direkt vor mir. Doch das Einzige, was sich direkt vor mir befindet, ist der blutende Engel, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegt.
    Könnte es sein, dass er noch lebt?
    Nach allem, was ich gehört habe, stirbt ein Engel, wenn man ihm die Flügel abschlägt. Aber wahrscheinlich ist das genauso wahr wie die Tatsache, dass jemand stirbt, dem man einen Arm abschneidet. Überlässt man ihn sich selbst, wird er schlicht verbluten.
    Es dürfte schwierig werden, sich ein Stück Engel zu besorgen. Die Straße wird wahrscheinlich jeden Moment von menschlichen Aasgeiern überschwemmt werden. Das Schlaueste wäre, zu verschwinden, solange ich noch kann.
    Aber wenn er noch lebt, weiß er vielleicht, wo sie Paige hingebracht haben. Ich laufe zu ihm hinüber. Mein Herz schlägt in wilder Hoffnung.
    Blut strömt ihm den Rücken hinunter und mündet in einer Lache auf dem Asphalt. Unsanft drehe ich ihn um und zögere dabei keine Sekunde, ihn anzufassen. Selbst in meinem verzweifelten Zustand bemerke ich seine ätherische Schönheit, die glatte Erhebung seiner Brust. Ohne die Blutergüsse und Striemen hat er vermutlich, stelle ich mir vor, das klassische Engelsgesicht.
    Ich schüttle ihn. Ohne zu reagieren liegt er da, wie die griechische Götterstatue, der er so ähnelt.
    Ich ohrfeige ihn heftig. Seine Lider flattern, und für einen Augenblick nimmt er mich wahr. Ich wehre das panische Bedürfnis ab, wegzulaufen.
    »Wo gehen sie hin?«
    Er ächzt, seine Augendeckel klappen zu. Wieder ohrfeige ich ihn, so fest ich kann.
    »Sag mir, wo sie hin sind! Wo bringen sie sie hin?«
    Ein Teil von mir hasst diese neue Penryn, die ich geworden bin, hasst das Mädchen, das ein sterbendes Geschöpf ohrfeigt. Doch ich schiebe diesen Teil in eine dunkle Ecke meines Verstands, wo er mich ein anderes Mal piesacken kann, wenn Paige außer Gefahr ist.
    Er ächzt erneut, und mir
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