Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag wie diesem

An einem Tag wie diesem

Titel: An einem Tag wie diesem
Autoren: Peter Stamm
Vom Netzwerk:
über die Jahre zu Fabiennes Gesicht geworden war und das, wie er jetzt merkte, ganz anders aussah. Er betastete den Bogen und den Köcher mit den verbogenen Drahtpfeilen, den kurzen Schurz, der die Lenden bedeckte, die im Gehen erstarrten Beine, die Füße, von denen einer nur mit den Zehen den Sockel berührte. Er wog die Statue in den Händen. Er dachte daran, sie wegzuwerfen, aber dann wickelte er sie wieder ein und legte sie vorsichtig in den Kofferraum zurück.
     
    Gegen Mittag kam er an Bordeaux vorbei. An einer Tankstelle kaufte er eine Landkarte der Gegend. Nach einigem Suchen fand er den Campingplatz, von dem Delphine ihm erzählt hatte,
Le Grand Crohot
. Eine Straße führte geradewegs aufs Meer zu und endete dort. Auf der Karte waren keine Gebäude eingezeichnet, neben dem Namen war nur das Piktogramm für einen Aussichtspunkt.
    Die Autobahn führte durch Pinienwälder und niedriges Buschland. Der Verkehr war dicht, und als die Straße einige Kilometer vom Meer entfernt schmaler wurde, staute er sich. Für das letzte Stück des Weges brauchte Andreas fast eine Stunde. Die Sonne brannte auf das Auto und er schwitzte.
    Die Straße endete in einer weiten Schleife. Am Straßenrand gab es Hunderte von Parkplätzen im Schatten großer Pinien. Viele waren besetzt, und hier und da waren Leute in Badeanzügen zu sehen, die ihre Sachen
auspackten oder neben ihren Wagen picknickten. Andreas fuhr im Schritttempo. Nach ein paar hundert Metern kam er zum Eingang des Campingplatzes der Gendarmerie. Der Empfang war über Mittag geschlossen und würde erst um zwei wieder besetzt sein. Andreas parkte den Wagen und rief Delphine auf ihrem Handy an. Sie antwortete nicht. Er hörte die Ansage ihrer Mailbox bis zum Ende, aber er hinterließ keine Nachricht. Vermutlich war Delphine am Strand und hatte das Handy nicht dabei.
    Neben der Barriere am Eingang hing ein Plan des Campingplatzes. Es gab zweihundert Stellplätze und ein paar Dutzend kleiner Hütten, die auf dem Plan als braune Quadrate eingezeichnet waren. Es würde eine Ewigkeit dauern, Delphine zu finden, vermutlich war sie ohnehin am Meer. Andreas entschloss sich, an den Strand zu gehen und später wiederzukommen. Im Schutz des Wagens zog er sich um, schmierte sich umständlich mit Sonnencreme ein und zog sich ein T-Shirt über. Barfuß ging er über den Campingplatz in die Richtung, in der er das Meer vermutete. Der Platz schien voll belegt zu sein, aber man sah nicht viele Menschen. Die wenigen Leute, denen Andreas begegnete, trugen Freizeitkleidung, Trainingsanzüge, kurze Hosen und T-Shirts und Sandalen. Auf einem großen Sandplatz, an dessen Rand die Tische und Stühle einer Cafeteria standen, spielten zwei einsame Männer Boule. Das also war das Paradies, von dem Delphine gesprochen hatte, lange Reihen von Zelten und Wohnwagen unter einem Dach hoher Pinien, ein Lebensmittelgeschäft und ein Waschsalon, kleine asphaltierte
Wege und alle hundert Meter ein Gebäude mit Toiletten und eines mit Wasch- und Abwaschgelegenheiten. Auf manchen Stellplätzen stand neben einem großen Zelt ein zweites, kleineres, auf anderen waren Tücher aufgespannt, um den Platz vor fremden Blicken zu schützen. Zwischen den Bäumen hingen Hängematten und waren Wäscheleinen gespannt, an denen Badetücher zum Trocknen hingen. Vor einigen Zelten waren die Piniennadeln zu Wegen zusammengerecht, die auf beiden Seiten von Pinienzapfen eingerahmt waren.
    Es hatte Andreas immer vor Campingferien gegraut. Einmal hatte er sich darauf eingelassen und hatte mit einer Freundin eine Woche im Zelt verbracht am Mittelmeer. Er erinnerte sich nur noch an feuchte Kleider, an den Sand überall und die stinkenden Toiletten, an übervolle Strände und an Tanzabende, deren Höhepunkt der Ententanz gewesen war. Von jener Freundin hatte er sich kurz darauf aus einem anderen Grund getrennt.
    Andreas hatte den Campingplatz durchquert. Er hatte keine Ahnung, in welcher Richtung das Meer lag. Er irrte zwischen den Bäumen umher. Schließlich lichtete sich der Wald, und vor ihm erhob sich eine hohe Düne. Er watete durch den heißen Sand hinauf. Erst jetzt spürte er wieder seine Müdigkeit. Oben angelangt, blickte er zurück. Der Campingplatz war nicht mehr zu sehen, nur noch ein endloser Wald und in einiger Entfernung ein mächtiger Bunker, der halb im Sand versunken war. Die meterdicke Betondecke war auseinander gebrochen, und die Wände waren mit Graffiti beschmiert.
    Das Meer war von hier aus noch nicht zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher