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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter
Autoren: Judith Lennox
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allen Zeitungen gestanden, und die unvermeidlichen Fragen wären gefolgt. Wozu hätte das gut sein sollen? Es hätte nur meinen Ruf vernichtet und den armen Redmond auch nicht wieder lebendig gemacht.«
    Ein Mann schaute zur Tür herein. Pharoah warf ihm einen grimmigen Blick zu, und er zog sich zurück.
    Â»War Dr. Redmond sofort tot?«, fragte Ellen.
    Pharoah erstarrte. Minuten schienen zu vergehen, ehe er antwortete: »Nein. Er hat noch gelebt, als Gosse gegangen ist.«
    Sein Profil war wie aus Stein, starr und unbewegt.
    Â»Sind Sie zu ihm gegangen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Â»Aber er war Ihr Freund «, flüsterte sie, und zum ersten Mal entdeckte sie etwas wie Scham auf seinem Gesicht, bevor er sich abwandte und wieder zum Fenster hinaussah.
    Der Zug fuhr in einen Bahnhof ein. Leute stiegen aus und ein; diesmal setzten sich drei Männer in Hut und Mantel zu ihnen ins Abteil.
    Sie glaubte, das Gespräch wäre beendet, aber als sie die Außenbezirke von London erreichten, neigte sich Phoarah zu ihr hinüber und sagte mit gesenkter Stimme: »Wenn Sie meinen, ich hätte für mein Handeln Strafe verdient, dann glauben Sie mir, ich bin bestraft worden. Meine Tochter Rowena wird ihren Cousin heiraten. Ich war heute in Barton, um diese Verbindung zu verhindern, die nur Unheil bringen kann, aber es war zu spät. Sie erwartet ein Kind von Rufus.«
    Ellen sah Tränen in seinen Augen. Sie erinnerte sich an das Mittagessen im Haus der Pharoahs damals, vor vielen Jahren. Sie sah Pharoahs dunkle, schöne Tochter vor sich und ihren düsteren Cousin, der so dreist auf sie gewirkt hatte, wie sie im Speisezimmer miteinander tuschelten; wie Rufus Rowena bei den Zöpfen gepackt und das Mädchen zu sich herangezogen hatte; wie Rowena gelacht hatte, so schrill.
    Â»Das tut mir leid«, sagte sie. »Ein Kind –«
    Â»Sie können sich das sicher ausrechnen. Wenn die Krankheit rezessiv ist und ich das fehlerhafte Gen von meinen Eltern mitbekommen habe, dann ist es möglich, dass auch mein Bruder Devlin es in sich trägt. Und wenn das zutrifft, ist es weiterhin möglich, dass wir es sowohl an Rowena als auch an Rufus weitergegeben haben. Mit anderen Worten, es besteht eine Chance von eins zu vier, dass Rowenas Kind die Krankheit erbt.«
    In seinem Blick stand solches Entsetzen, dass Ellen Mitleid empfand.
    Â»Ich wollte Rowena heute alles über meinen Sohn erzählen«, fuhr er fort. »Aber ich habe es nicht über mich gebracht. Das ist nun meine Strafe, Mrs. Riley. Diese unglückselige, überstürzte Heirat und ein Jahr des Wartens, bis sich zeigt, ob mein Enkelkind gesund ist. Das wäre der glücklichste Ausgang. Der unglücklichste – ich mag gar nicht daran denken.«
    Er wandte sich wieder ab. Die Lichter der näher kommenden Stadt warfen orangefarbene Reflexe auf die regenüberströmte Fensterscheibe. Ellen dachte an ihr eigenes Kind, Rileys Kind, ersehnt und schon jetzt innig geliebt. Sie fühlte, wie es sich in ihr bewegte, und betete darum, dass es gesund zur Welt kommen würde.
    Nur einmal noch richtete er das Wort an sie, als sie in den Bahnhof King’s Cross einfuhren. Sie waren schon aufgestanden und machten sich zum Aussteigen fertig.
    Â»Sehen Sie sie manchmal?«, fragte er.
    Â»India? Nein.« Sie nahm ihre Aktentasche. »Aber wir schreiben uns.«
    Â»Ist sie glücklich?«
    Â»Ja, sehr.«
    Â»Bitte schreiben Sie ihr – bitte schreiben Sie ihr, dass ich sie vermisse.«
    Er verließ das Abteil. Ellen wartete einen Moment, bevor sie ebenfalls ging, sie wollte nicht noch einmal mit ihm zusammentreffen. Doch die Gedanken ließen sie nicht los, selbst dann nicht, als sie sich auf dem Bahnsteig durch die dichte Menschenmenge schob: Gedanken an Pharoah und Dr. Redmond, Rowena Pharoah und ihr ungeborenes Kind, an die kalte Mathematik der Genetik und wie Unglück, Gier und Lieblosigkeit in künftigen Generationen fortwirken konnten. Dann sah sie Riley mit Annie hinter der Sperre stehen und rannte ihnen entgegen, warf die Arme um ihn und drückte ihr Gesicht fest an seine Schulter.
    Â»Hallo, was ist denn das?«, fragte er beunruhigt. »Was ist los?«
    Â»Nichts«, sagte sie. Ihre Tränen verwischten seine Gesichtszüge, aber in diesem Moment, zurück bei ihrer Familie, wurde das Zusammentreffen mit Marcus Pharoah Vergangenheit, und sie
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