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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter
Autoren: Judith Lennox
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hörte, wie die Tür zum Restaurant aufgestoßen wurde.
    Und da war er. In Blue Jeans und rot kariertem Hemd stand er an der Tür.
    Sie stellte die Kaffeekanne auf die Wärmeplatte und ging ihm entgegen.
    Â»Suchen Sie einen Tisch, Sir?«
    Â»Genau deswegen bin ich hier, Madam.«
    Â»Wissen Sie schon, was Sie wollen?«
    Sie stand direkt vor ihm. Er legte seine Hand auf ihre Hüfte. »Ja, Madam. Ich weiß genau, was ich will. Und Sie?«
    Â»Ich auch.« Sie stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn. »Hallo, Linc«, sagte sie.

14
    ELLEN ERWISCHTE DE N ZUG NACH LONDON in letzter Minute. Der Schaffner, der vielleicht ihren dicken Bauch bemerkte, hielt ihr die Tür auf und wartete, bis sie eingestiegen war, ehe er das Fähnchen hob und auf seiner Trillerpfeife pfiff. Der Zug war voll, und sie schob sich unter Entschuldigungen durch den Gang, ihre Aktentasche wie einen Schutzschild vor den Bauch haltend. In der zweiten Klasse waren alle Plätze belegt, und sie war froh, dass John sie überredet hatte, erster Klasse zu fahren.
    Der Zug schwankte und schlingerte mit zunehmendem Tempo. In der ersten Klasse spähte sie durch die Fenster in die Abteile. In einem saß ein einzelner Fahrgast. Sie wollte gerade die Tür aufziehen, als sie mit einem Schreck den Mann erkannte, der am Fenster saß. Marcus Pharoah.
    Sie hätte weitergehen können, war versucht, genau das zu tun, aber dann öffnete sie die Tür und trat ins Abteil.
    Â»Guten Tag, Dr. Pharoah«, sagte sie.
    Er hatte zum Fenster hinausgesehen und drehte sich um, die Augen zusammengekniffen. »Miss Kingsley.«
    Â»Sind die Plätze hier frei?«
    Â»Ja, alle.«
    Sie setzte sich ihm gegenüber und fragte sich, ob sie sich nun bis London anschweigen würden. Doch da sagte er: »Ich nehme an, Sie sind jetzt nicht mehr Miss Kingsley.«
    Â»Nein, ich bin verheiratet und heiße Riley. Allerdings arbeite ich unter meinem Mädchennamen.«
    Â»Sind Sie in Cambridge zugestiegen?«
    Â»Ja, ich war dort auf einer Konferenz. Und Sie, Dr. Pharoah?«
    Â»Ich habe meine geschiedene Frau und meine Tochter besucht.«
    Er wirkte niedergeschlagen, und sie stellte fest, wie sehr er sich verändert hatte. Er sah älter aus, und sein Haar war fast ganz ergraut, aber das war es nicht; was ihr ins Auge fiel, war der Verlust an Vitalität und Selbstgewissheit.
    Â»Und wann ist es so weit?«, fragte er.
    Â»In zwei Monaten. Im Januar.«
    Â»Ein neues Jahrzehnt. Ein Kind der Sechziger.«
    Der Zug fuhr jetzt durch das freie Land südlich von Cambridge. Wenn sie durch Dunkelheit und Regen über die Felder hätte sehen können, hätte sie in der Ferne Gildersleve erkennen können.
    Er musste Ähnliches gedacht haben, denn er sagte: »Das war eine gute Zeit. Sie fehlt mir.«
    Sie fragte neugierig: »Und was war Ihre glücklichste Zeit, Dr. Pharoah?«
    Â»Im Krieg, glaube ich.«
    Â»Als Sie mit Dr. Kaminski und Dr. Redmond im Cottage zusammengelebt haben?«
    Â»Ja.« Sein Blick glitt vom Fenster ab, und er wandte sich ihr zu. »Jan hat mir erzählt, dass er sich mit Ihnen unterhalten hat.«
    Â»Ja.«
    Â»Ihre Wissbegier ist wirklich außergewöhnlich, aber bei einer Wissenschaftlerin ist das natürlich eine Tugend.«
    Â»Ich glaube, ich habe erfahren, was ich wissen wollte.«
    Als er ungläubig lächelte, fügte sie beinahe trotzig hinzu: »Ich glaube, dass Sie und Dr. Redmond sich nach dem Krieg voneinander entfernt haben, weil Sie dahintergekommen sind, dass er homosexuell war. Und ich vermute, der Bruch zwischen Ihnen beiden wurde noch tiefer, als Dr. Redmond erfahren hat, dass Sie den Wald verkaufen wollten, weil in Gildersleve das Geld knapp wurde. Ich glaube, er hat Ihnen gedroht, Sie bloßzustellen; entweder wollte er publik machen, dass Sie jahrelang Dr. Kaminskis Arbeit als Ihre eigene ausgegeben haben, oder aber dass Sie in Ihrer Jugend Mitglied der kommunistischen Partei waren. Davon hat er gesprochen, als er zu Ihnen sagte, er könne sie vernichten.«
    In der Stille waren nur das Rattern der Räder auf den Gleisen zu hören und das Pfeifen des Zugwinds, als der Zug durch einen Tunnel brauste.
    Pharoah sagte: »Das mag beides zutreffen, aber dass ich Gosse an dem Abend ins Cottage geschickt habe, hatte nur einen Grund: Er sollte die Briefe suchen, die ich Redmond wegen meiner ersten Frau geschrieben
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