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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter
Autoren: Judith Lennox
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ist einfach stehen geblieben in seiner Entwicklung, und es ist dann nur noch rückwärts gegangen.«
    Â»Es tut mir so leid«, sagte India, die merkte, dass sie Abigail fester hielt. »Konnte der Arzt denn gar nichts tun?«
    Â»Anscheinend nicht. Ich bin mit ihm zu einem Kinderarzt in Augusta gefahren, und der hat irgendein Medikament verschrieben, aber es hat ihm nicht geholfen. Ich war die Einzige, die ihn beruhigen konnte, wenn er sich aufregte, sonst niemand. Ich habe mich mit ihm in den Garten unter die Bäume gesetzt, und wenn er den raschelnden Blättern zugeschaut hat, ist er ruhig geworden. Aber dann sind die Anfälle gekommen. Am Ende war es so schlimm, dass er nicht mehr zu sich gekommen ist. Er war erst zwei Jahre alt, als er starb.«
    Kitty Michaud starrte zum Fenster hinaus. »Ich sollte uns einen Kaffee kochen«, sagte sie.
    Â»Lassen Sie mich das machen.« India stand auf. »Vielleicht nehmen Sie mir inzwischen Abigail ab?«
    India setzte ihr Abigail auf den Schoß. Und während Kitty Michaud sachte den Kopf des Kindes streichelte, sagte sie: »Er hat mir leidgetan. Er hat mir leidgetan, weil er seine Frau verloren hatte und keinen Funken Liebe für diesen kleinen Jungen empfinden konnte. Dabei war er so lieb, mein kleiner Jimmy. Ein so liebes Kind.«
    Ellen dachte daran, wie hübsch Pearl Riley ausgesehen hatte, wie elegant, wie lebhaft sie gewirkt hatte. Auch wenn Annie sich anscheinend nicht an sie erinnerte, war und blieb Pearl ihre Mutter. Und auch wenn Riley Pearl vielleicht nicht mehr liebte, fühlte er sich wahrscheinlich doch noch an sie gebunden. Pearl war seine Frau und die Mutter seines Kindes. Solche Bindungen waren nicht leicht aufzuheben.
    Zweimal klingelte an diesem Abend das Telefon, aber Ellen ging nicht hin. Sie hatte das Gefühl, Pearls Rückkehr habe alles verändert. Ihre Verlobung mit Alec war an Alecs Schuldgefühlen seiner Mutter gegenüber gescheitert. Riley war ein hochanständiger Mensch. Konnte sie es riskieren, dass er an Schuldgefühlen Pearl gegenüber leiden würde? Als sie sich erinnerte, wie sehr sie nach der in die Brüche gegangenen Verlobung gelitten hatte, dachte sie an Flucht. Die Sache beenden und Schluss machen, bevor sie sich noch tiefer verstrickte.
    Vor dem Zubettgehen trank sie ein Glas Whisky, schluckte zwei Aspirin und schlief danach, wie sie am Morgen überrascht feststellte, neun Stunden durch. Nach dem Frühstück las sie einige Fachartikel, aber es fiel ihr schwer, sich auf eine komplizierte Erörterung der Fourier-Analyse zu konzentrieren. Immer wieder dachte sie: Pearl will ihn nur von Neuem verletzen; Menschen, die fähig sind, andere zu quälen, kann man nicht trauen. Und sie wartete ständig auf das Läuten des Telefons.
    Warum rief er nicht an? Es wurde immer später, und schließlich gab sie jeden Versuch zu lesen auf. Wenn Riley meinte, er müsste Pearl eine zweite Chance geben, obwohl er sie nicht mehr liebte, war das ein gründlicher Irrtum. Sie, Ellen, musste ihm das klarmachen. Und was ihre Sorge anging, sie könnte sich zu tief verstricken, so war sie absolut lächerlich. Sie war ohnehin schon gefangen – beinahe rettungslos.
    Sie rief Riley zu Hause an. Nichts. In den nächsten zwei Stunden versuchte sie es in Abständen immer wieder, aber er meldete sich nicht. Gegen Mittag ging sie aus und besorgte sich eine Zeitung. Auf dem Rückweg nach Hause war sie sicher, sie würde das Klingeln schon im Treppenflur hören. So war das doch immer, man wartete den ganzen Vormittag auf einen Anruf, und kaum war man zur Tür hinaus, läutete das Telefon.
    Aber es läutete nicht. Noch einmal rief sie bei Riley an. Waren die Rileys vielleicht unterwegs? Zu Besuch bei Pearls Eltern? Ja, das musste es sein.
    Ellen schälte Kartoffeln und schnipselte grüne Bohnen. Nachdem sie sie aufgesetzt hatte, sah sie die Zeitung durch. Eine Meldung unten auf der ersten Seite fiel ihr ins Auge. Kriminalbeamter von Scotland Yard angeschossen . Sie erschrak und las die Meldung ganz, im Schnelldurchgang zuerst, dann genauer. Der Beamte, dessen Name nicht genannt wurde, lag in kritischem Zustand im St. Thomas Hospital. Er war, hieß es, bei einer Bandenschießerei in Brixton verwundet worden.
    Die Kartoffeln kochten über. Ellen drehte das Gas kleiner. Sie legte ein Lammkotelett in die Pfanne und rief noch einmal bei Riley an, aber irgendwie
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