Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar
Autoren: Christopher Coake
Vom Netzwerk:
wollte nur über ein paar Dinge sprechen. Meinen Kopf auslüften.«
    Das war ihr alter Code. Sam hatte ihn eingeführt, nachdem Marks Mutter gestorben war. Später, nach der Sache mit Brendan, hatte Mark ihn von ihm übernommen.
    Sam drückte Marks Unterarm. »Natürlich. Sollen wir ein bisschen rausgehen? Die Abschlussessays sind fällig, und wenn wir hierbleiben, rennen sie mir die Bude ein.«
    Er zog erst sein Sakko an – grüner, braun durchschossener Tweed – und darüber den Mantel. Mark folgte ihm den Korridor entlang. Oben an der Treppe standen mindestens ein Dutzend Studenten; sie lächelten alle, als sie sie durchließen, und sein Vater grüßte reihum.
    Sie traten ins Freie, wo ihnen kalter Regen entgegensprühte. Sein Vater fasste Mark am Ellbogen und führte ihn einen sich gabelnden Fußweg entlang zu einem Coffee Shop, in den er gern ging. »Es hat mit Allison zu tun. Ich habe es dir am Gesicht angesehen, als ich ihren Namen gesagt habe. Erzähl.«
    Sam versuchte sich auf das Schlimmste gefasst zu machen. Er hatte Marks Mutter auf ihrem zwölfmonatigen Sterbeweg begleitet. Er war vor sieben Jahren ans Telefon gegangen, um Marks gebrochenes »Brendan ist tot« zu hören. Er hatte seinem Sohn während der Scheidung von einer Frau beigestanden, die sie beide geliebt hatten. Sein Bedarf an Tragödien war gedeckt.
    »Ich will sie fragen, ob sie meine Frau werden will«, sagte Mark – auch wenn ihm bei den Worten die Kehle eng wurde. »Das heißt wohl, dass alles soweit gut läuft, denke ich mal.«
    » Denkst du mal! «, wiederholte sein Vater mit der von freundlichem Sarkasmus triefenden Stimme, die seine Studenten immer strammstehen ließ: Mr Shields, Sie haben doch aufgepasst, oder? Erklären Sie uns kurz, was Noblesse oblige bedeutet, ja? Sie denken mal? Oder wissen Sie es? Lassen Sie sich ruhig Zeit. Wir reden schließlich über Geschichte, die läuft nicht weg. »Denkst du mal«, sagte sein Vater noch einmal mit einem Lachen. »Bleib stehen.«
    Und er umarmte ihn. Sein Mantel roch nach dem Farmhaus, nach Mottenkugeln im Schrank, nach Sicherheit, nach Sam . Mark schloss die Augen, dankbar, verloren. »Ich bin so froh für dich«, sagte sein Vater. »Du hast es so sehr verdient.«
    Als Sam ihn losließ, blinzelte er gerührt. Verdient – Mark wies den Gedanken mit jäh aufschießender Wut von sich. Zurück blieb die verschwommene Traurigkeit, die er nur zu gut kannte. Verdient. Schweigend gingen sie nebeneinander her, Sams Hand immer noch auf Marks Schulter.
    Der Coffee Shop gehörte zu einer grauen, gesichtslosen Ladenfront am Ostrand des Campus. Innen war es dampfig und gemütlich; der schwere, rauchige Geruch gerösteter Kaffeebohnen hing dicht unter den Holzbalken, in die die Initialen von Generationen eingeritzt waren.
    Während sie am Tresen anstanden, fragte Sam: »Bleibst du über Nacht? Ich könnte uns was kochen.«
    Mark hatte vorgehabt, noch am selben Tag wieder zurückzufahren, aber jetzt, wo er hier war, geriet er doch in Versuchung; er vermisste das Farmhaus mit seinen hohen Decken, verputzten Wänden und Zimmern voller Bücher, den Jazzklängen, die aus dem Plattenspieler seines Vaters knisterten.
    Seit Jahren bedrückte es ihn nun schon, Sam so alleine dort draußen zu wissen. Nicht dass sein Vater ein Einsiedler war, im Gegenteil, er traf sich mit Kollegen zum Essen, er ging in Konzerte. Aber die meisten Abende verbrachte er daheim in seinem tiefen Ledersessel, wo er Arbeiten korrigierte oder aus seinen übergroßen Siebziger-Jahre-Kopfhörern Musik hörte, neben sich einen mit wissenschaftlicher Akkuratesse gemixten Martini – mehr als den einen trank er nie. Seine nächsten Nachbarn wohnten eine halbe Meile entfernt. Und die Straße war bis heute ungeteert.
    »Ich kann nicht«, sagte Mark mit ehrlichem Bedauern. »Ich habe Allie gesagt, dass ich heimkomme.«
    Sein Vater nickte, aber die Enttäuschung war ihm anzumerken. Sie holten sich jeder einen Kaffee, dann setzten sie sich ans Fenster. »So«, sagte Sam. »Ich will alles wissen.«
    Mark legte seinen Fall dar: Er und Allison lebten jetzt seit sechs Monaten zusammen. Sie war besonnen, ruhig – erwachsener als er, schien ihm manchmal. Dass es für beide die zweite Ehe sein würde, schuf eine weitere gemeinsame Basis zwischen ihnen. Aber sie konnte auch verspielt sein, und sie hatte Köpfchen. Bei ihr empfand er so etwas wie Frieden.
    »Ich liebe sie«, sagte er. Und noch einmal lauter: »Ich liebe sie sehr.«
    Sein Vater sah
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher