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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar
Autoren: Christopher Coake
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Ende des Sommers hatte er ein Gelübde darauf abgelegt, mit dem Ring, den er Chloe in einem Rosengarten in Columbus an den Finger steckte.
    Aber Chloe hatte ihn verlassen. Brendan war noch kein Jahr tot gewesen, als sie gegangen war. Wir sind nicht mehr die, die wir waren, hatte sie zu ihm gesagt. Und vielleicht waren wir es nie.
    Mark war kein Ehemann. Er war kein Vater. Nicht mehr.
    Er war frei. Die Erkenntnis überkam ihn hinterrücks, wie immer, doch am Ende konnte er nur die Zähne zusammenbeißen und sich ihr stellen: Seine Frau und sein Sohn hatten ihn allein gelassen. Er war ein neuer Mensch. Er gehörte sich selbst.
    Er konnte alles machen, was er wollte.
    Zehn Minuten später parkte Mark den Volvo auf dem Campus und stieg zum Büro seines Vaters im zweiten Stock der Jordan Hall hinauf, über breite Steinstufen, die von vielen Füßen blankgewetzt und eine Spur konkav waren.
    Sam Fife arbeitete in diesem Gebäude schon länger, als Mark auf der Welt war. Wenn die Skyline der Stadt ihn in seine Teenagerzeiten zurückversetzte, dann nahm das Innere des langgestreckten, niedrigen Kalksteinbaus ihn noch weiter mit in die Vergangenheit, ins Alter von zehn. Hier riecht es nach Denken, hatte er damals zu seinem Vater gesagt. Es roch immer noch so – ein freundlicher Geruch nach Büchern und Menschen, die intensiv nachdachten. Nach Geschichte : eine Patina, die man nie wegschrubben oder überlackieren würde, gebildet aus dem ungehemmt ausgeblasenen Pfeifen- und Zigarettenrauch vieler Jahrzehnte, aus Moschus und Eau de Cologne, Industriereiniger, dickem Papier, Leim und Leder, aus vergossener Tinte und zu lang nicht mehr gewaschenem Tweed.
    Schon von Weitem sah er, dass die Tür seines Vaters offen stand. Gelächter schallte daraus hervor. Mark zauderte auf der Schwelle, hin- und hergerissen zwischen Unschlüssigkeit und Beherztheit wie früher als Kind. Sein Vater saß entspannt hinterm Schreibtisch, die Hände im Nacken verschränkt, die Füße in abgetretenen Halbschuhen auf eine offene Schublade gelegt. Er trug einen grässlichen buntgescheckten Pullover, und er hatte sich – das machte er jeden Winter, und wie jeden Winter stutzte Mark auch jetzt wieder bei dem Anblick – einen schmalen, weißen Bart stehen lassen, der den Schädel umso kahler wirken ließ. Sein Schreibtisch war sauber aufgeräumt und staubfrei wie immer. Alle Wände waren bis hinein in die letzte Ecke mit Büchern vollgestellt, so dicht, dass man eine Tapete vor sich zu haben glaubte.
    Ein anderer Professor, Mitch Doyle – ein rundlicher Asthmatiker mit schwarzem Trainingsanzug und Colts-Mütze auf dem Kopf –, saß in dem Polstersessel vor dem Schreibtisch, seinen Stock über den Knien. Beide Männer lächelten, als Mark auftauchte – war er ein Student, der etwas brauchte? –, und dann stellte sein Vater eilig die Füße auf den Boden. »Mark! Du liebe Güte!«
    »Hallo, Paps«, sagte Mark – eine Anrede, die sein Vater hasste, aber Mark sah die Sorge, die sich prompt in Sams Züge schlich, und wollte ihn beruhigen. »Ich war grade in der Gegend …«
    »Mitchell! Das ist mein Junge!«
    »Tatsächlich«, sagte Mitch und stemmte sich ächzend aus seinem Sessel. »Schön, Sie zu sehen, Mark.«
    »So etwas!« Sein Vater kam auf ihn zu, und wie immer fühlte sich Mark schon durch seine schiere Größe geborgen.
    »Also dann, Fife.« Mitch schob sich keuchend zur Tür hinaus. »Am Montag haben wir ja wieder Fakultätssitzung.«
    »Wenn ich störe …«, sagte Mark.
    »Überhaupt nicht«, erklärten Mitch und sein Vater im Chor. »Setz dich, setz dich«, drängte sein Vater, und Mark nahm in dem geräumten Sessel Platz, während sein Vater die Tür schloss. Er verdrehte die Augen. »Du hast mich gerettet«, sagte er. »Hatte ich dir erzählt, dass Mitch unser neuer Institutsleiter ist?«
    Das hatte er, aber Mark schnitt trotzdem eine Grimasse. »Und wie ist es mit ihm?«
    »Die Hölle auf Erden. Die Sitzungen nehmen überhaupt kein Ende mehr.«
    » Du solltest Institutsleiter sein«, sagte Mark.
    Sein Vater hatte mit Führungspositionen nichts am Hut, aber er hörte es gern, dass er eine innehaben sollte. »Noch sechs Jahre bis zur Pensionierung«, sagte er mit grimmigem Lächeln. »Bis dahin will ich meine Ruhe, dafür nehme ich sogar Mitch in Kauf. Aber egal! Du kommst extra her, um mich zu besuchen?«
    »Ja.«
    »Es ist etwas passiert.« Sams Ausdruck war angespannt. »Ist irgendwas mit Allison?«
    »Nein! Uns geht’s gut, Dad. Ich
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