Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar
Autoren: Christopher Coake
Vom Netzwerk:
fand. Nicht der Typ Mann zu sein, der seiner Umgebung ständig versichern musste, dass ihm nichts fehlte.
    »Alles bestens«, sagte er. »Versprochen. Und vielleicht kaufen Dad und ich was für dich.«
    Das hörte sie schon lieber. »Na dann«, sagte sie. »Sag Sam liebe Grüße von mir. Und lasst euch nicht lumpen!«
    Die I-70 von Columbus nach Indianapolis verlief über weite Strecken so gerade, dass Mark am Steuer gefahrlos hätte einschlafen können. Kalter Regen und Graupel schlugen gegen die Windschutzscheibe. Er fuhr zwischen meilenweiten Feldern hindurch, aus deren schwarzer, gefrorener Erde abgeknickte Maisstängel spießten. Vorbei an Städtchen, die sich ihrer eigenen Zubringer zu schämen schienen. Einem breiten, schnurgeraden braunen Fluss, der einer nach Süden fließenden Autobahn glich, hier und da mit Eisschollen an den Rändern. Einer Ausfahrt mit Fernfahrerkneipe und Stuckey’s Pecan Candy Shoppe. Mark stöpselte seinen iPod in den cd -Player ein. Er spielte dröhnend lauten Rock’n’Roll – Led Zeppelin – und sang mit, um sich wachzuhalten.
    Eine halbe Ewigkeit später tauchten im Westen die ersten Ausläufer von Indianapolis auf – Columbus, nur spiegelverkehrt: die gleichen Einkaufszentren im Regen, Fernfahrerkneipen, Stuckey’s … Die gleichen endlosen Vororte. Schließlich fuhr er über eine Hügelkuppe, und vor ihm lag die Skyline von Indianapolis, eng gedrängt, glitzernd.
    Mark liebte Columbus, das schon so lange sein Zuhause war, aber dieser Blick auf Indianapolis ließ sein Herz noch immer höher schlagen. Als Sechzehnjähriger – langhaariger, spindeldürrer Möchtegern-Künstler, der er damals war – war er den Maisfeldern entflohen und mit seinem klapprigen Dodge Challenger durch die Straßen der Innenstadt gekurvt. In seiner Phantasie war er ein erwachsener Mann, der hoch oben in einem alten Lagerhaus wohnte, einem Loft mit hoher Decke und Gardinen, die sich im Wind bauschten, und einem steten Strom schöner junger Frauen, die sich in seinem breiten Bett rekelten und ihn beim Malen bewunderten.
    Noch heute konnte er nicht an der Stadt vorbeifahren, ohne daran zurückzudenken. Und er fühlte sich jedes Mal schuldig dabei, aber nicht, weil es ein so kindischer Traum war. Nein, es war ein Gefühl, als hätte er vor dem Schalter in der Bank eine Exfreundin getroffen, ein Mädchen von ganz früher, das von ihm grausam verlassen worden war und das bittere Tränen um ihn geweint hatte. Das noch nicht hinreichend darüber hinweg war – und es nie sein würde –, um ihn sagen zu hören: Ich heirate wieder.
    Der Highway machte einen Nordwärtsbogen, weg vom Stadtzentrum. Zur Rechten kam das Methodist Hospital in Sicht, wo Marks Mutter mit ihrem Lymphknotenkrebs gelegen hatte, in Marks letztem Jahr am College. Sie war in einem Krankenzimmer in einem der Obergeschosse gestorben, Mark und Sam und Chloe waren alle bei ihr gewesen. Sam hatte ihre eine Hand gehalten, Mark die andere, mit geschlossenen Augen hatte er ihrem flachen Atem gelauscht. Schließlich war der nächste Atemzug ausgeblieben, und der Moment hatte sich lang und länger hingezogen, und sein Vater hatte gesagt: Molly, nicht …
    Jetzt wusste Mark plötzlich, was ihn zögern ließ.
    Seine Mutter war seit über fünfzehn Jahren tot, und dennoch hatte sein Vater es vorgezogen, allein zu bleiben. Mark plante einen Schritt, den zu tun Dr. Samuel Fife für sich nie für angezeigt gehalten hatte.
    Du bist genau wie dein Vater, hatte Chloe einmal zu Mark gesagt. Er hatte widersprochen; damals wie heute war es ihm gleich unheimlich, mit seinem Vater verglichen zu werden. Im Sommer nach Mollys Tod war das gewesen. Mark und Chloe waren für die Semesterferien zu Sam auf die Farm gezogen, damit er nicht so allein war. Sie lagen aneinandergeschmiegt in dem schmalen Bett im Gästezimmer, als Chloe davon anfing; Sam war zu irgendwelchen Besorgungen aufgebrochen. Mark schaute zur Decke hoch, Chloes Kopf auf seiner Brust, und sinnierte laut darüber, wie es in Sam wohl aussehen mochte.
    Jetzt weiß ich, wo du es herhast, sagte Chloe unvermittelt.
    Was?
    Diese Fähigkeit zum Lieben, sagte sie. Die Menschen, die du liebst, liebst du rückhaltlos.
    Er wusste nicht, was er antworten sollte.
    Es tut mir so leid für deinen Vater, sagte Chloe. Aber ich bin froh, dass wir uns genauso lieben wie er deine Mutter. Ich meine, so was ist selten. Findest du nicht auch?
    Doch, das fand er auch, und er hatte es ihr an Ort und Stelle bezeugt. Und am
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher