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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar
Autoren: Christopher Coake
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Mark hatte keine Lust; er fand fast alle von Allies College-Freundinnen furchtbar, aber das behielt er für sich. Im Grunde war er erleichtert, sich ausklinken zu können – wenn er zu Hause blieb und arbeitete, brauchte er auch kein schlechtes Gewissen wegen des Rings zu haben. Er sagte Allie, sie solle sich einen schönen Abend machen.
    Aber das leere, zugige Haus, mit nichts zur Ablenkung außer Arbeit, seiner Feigheit und Fußspuren im Schnee – irgendwie hielt er die Vorstellung doch nicht aus. Er hatte nach Brendans Tod zu lange als Einsiedler gelebt; selbst wenn er jetzt allein sein wollte, konnte er es oft nicht. Also machte er um fünf Uhr Schluss und rief seinen alten Studienfreund Lewis an, und dann fuhr er die fünfzehn Minuten zu dem Aufnahmestudio in Grandview, wo Lew als Tontechniker arbeitete.
    Er traf Lew beim Rauchen an, in dem Gässchen neben dem Seiteneingang des Studios, das dunkel und überfroren war. Das Eis zu Lews Füßen lag voll mit Zigarettenstummeln, jeder in einen winzigen Krater eingesunken wie Blindgänger auf einem Schlachtfeld. Lew hatte seinen breiten Schädel kahl rasiert; im Licht der Sicherheitsbeleuchtung schimmerte die Kopfhaut weiß unter den neuen Stoppeln hervor. Mark staunte pflichtschuldig, während sie den engen Korridor entlang in Lews Kabine gingen. »Ich bin ein alter Mann«, sagte Lew. »Haare sind was für Jungspunde.« Er warf einen Blick auf Marks Frisur und schnitt eine Grimasse. »Du kommst grade recht, Alter. Ich sterbe vor Langweile hier drin.«
    Lew und Mark hatten ihre ganzen drei Jahre an der Ohio State University zusammengewohnt, erst in einem Wohnheimzimmer und dann in ihrer eigenen Wohnung. Nur Lew zuliebe war Mark zu der Party mitgekommen, bei der er Chloe kennengelernt hatte, und ihre erste Verabredung war ein Doppel-Date mit Lew und Lews Freundin gewesen. Seit er mit Allison zusammengezogen war, sahen sie sich kaum noch – was Mark bedrückte, ohne dass er viel dagegen tat. Jetzt aber überkam ihn sofort wieder das alte, vertraute Gefühl. Genauso hatten sie auch in ihren Collegetagen immer geflachst, der laute Lew und der stille, schüchterne Mark, in irgendwelchen lässigen Schuppen, in die Lew ihn mitschleppte.
    Lewis war letztlich der einzige Freund, der Mark aus seinem alten Leben geblieben war. Der einzige Freund aus diesem Leben, der wirklich sein Freund war. Auch Lew hatte so seine Probleme – unter anderem soff er ziemlich, was Mark nicht tat (Mark trank sogar überhaupt nicht mehr) –, aber er war Brendans Patenonkel gewesen, und er hatte Chloe fast so sehr geliebt wie Mark. Niemand, mit Ausnahme vielleicht von Marks Vater, wusste so gut, was Mark durchgemacht hatte. Kaum ein Abend, an dem Lew nicht zu Mark gekommen war nach Brendans Tod und der Scheidung – ihm etwas zu essen mitgebracht hatte, ihn dazu überredet hatte, mit ihm Videospiele zu spielen oder einen Film anzusehen, statt allein vor sich hin zu brüten. Lew wusste, wie tief das Loch gewesen war, aus dem Mark herausklettern musste. Er wusste, was Marks Glück ihn gekostet hatte.
    Jetzt begriff Mark auch, was ihn wirklich hergeführt hatte. Er hatte Gesellschaft gebraucht, sicher, aber vor allem wollte er Lew von seinen Heiratsplänen berichten.
    Sie saßen nebeneinander in der Abhörkabine. Lew verschränkte die Finger hinter seinem schimmernden Schädel, sein großer, massiger Oberkörper sprengte fast das löchrige Stooges-T-Shirt. Er erzählte Mark von der Band, deren Album er gerade mischte (grauenhaft, absolut grauenhaft), von anderer Musik, die er gut fand; wie üblich griff er sich beim Reden Marks iPod und lud von seinem Laptop Musik darauf. Dann erzählte er Mark von seiner neuen Freundin, die Automechanikerin war. »Sie hat Schwielen an den Händen wie ein Mann«, sagte er. »Manchmal zweifle ich echt an meinem Verstand.«
    »Wir müssen uns mal zu viert treffen«, sagte Mark. »Das fände Allie sicher auch nett.«
    Lews Hand schabte über seine Kopfhaut. »Wie geht’s ihr? Ich hab sie ewig nicht gesehen.«
    Mark zögerte. Bei Lews erster Begegnung mit Allie, vor einem Jahr, hatten Mark und sie unmittelbar vorher gestritten. Vielleicht spürte Lew das, jedenfalls war er auf Anhieb gegen sie eingestellt, und sie fuhr ihm über den Mund, als er einen zweideutigen Witz machte. Am nächsten Tag hatte Lew ihm gemailt: Es gibt jede Menge Frauen zum Vögeln, wenn’s dir darum geht. Warum muss es so eine biestige sein?
    Seitdem hatten die zwei sich angefreundet. Trotzdem
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