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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar
Autoren: Christopher Coake
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dass er mit seinem Vater nicht als Allererstem gesprochen hatte. Vielleicht konnte er am Wochenende einen Kurzbesuch in Indiana einschieben, wo sein Vater noch immer in dem weitläufigen Farmhaus lebte, in dem Mark aufgewachsen war. Er versuchte sich den Ausdruck auf Sam Fifes Gesicht vorzustellen, wenn er die Neuigkeit hörte, und wieder packte ihn eine ganz grundlose Angst.
    Als Mark den Blick von dem Fernseher hinter der Bar abwandte – ein Basketballspiel der Buckeyes lief –, war Lew plötzlich verschwunden. Der Lärm in der Bar schwoll an wie eine steigende Flut, und ihm schnürte sich die Kehle zu. Hastig schaute er nach rechts und nach links, bis er Lewis endlich draußen auf dem Gehsteig entdeckte, wo er sich mit einer Frau in einem langen Ledermantel unterhielt. Rauch quoll ihm aus den Nasenlöchern.
    Mark setzte sich wieder auf seinen Hocker, sein Herz klopfte wild. Zum zweiten Mal an diesem Tag fragte er sich, wie zum Teufel er so hatte werden können: ein Mann, der losweinen wollte, sooft jemand, den er liebte, den Raum verließ.

DREI
    Am nächsten Morgen, Freitag, saß Mark oben in seinem Büro über der Website eines Ladens, der Holzspielzeug aus Holland importierte – Becher und Bälle, schlackrige Gelenkpuppen, Pferdchen mit Mähnen aus Wollzotteln und aufgemaltem Lächeln. Er mochte die Sachen nicht sonderlich und den Auftrag auch nicht. Er war im September dort gewesen und hatte brav die Puppen bewundert, ehe er sie mit der Digitalkamera fotografierte. Der Besitzer, ein alter Holländer, hatte gestrahlt, als Mark eine davon in die Hand nahm.
    Sie haben Kinder?, hatte er gefragt. Nehmen Sie eine, bitte sehr. Ein Geschenk des Hauses.
    Nein – nein, keine Kinder, hatte Mark mit zu lauter Stimme gestammelt. Tut mir leid.
    Der Blick des Mannes war samtig geworden vor Mitleid, und seitdem hatte Mark mit ihm nur noch per E-Mail korrespondiert.
    Dennoch, die Arbeit ging ihm heute leicht von der Hand. Sein Abend mit Lew hatte ihn beschwingt. Wenn er schnell genug durchkam, konnte er am Nachmittag vielleicht noch losziehen und nach Ringen schauen. Lew hatte ihm sogar seine Hilfe angeboten. Und Allison hatte ihn beim Abschied vorhin auf eine Weise geküsst, dass Mark sich sicher war, dass sie heute Abend miteinander schlafen würden.
    Aber dann plötzlich fiel ihm siedend heiß ein, dass er Chloe einen Anruf schuldete. Es waren keine drei Wochen mehr bis zum 18. Dezember, Brendans Geburtstag. Die letzten Jahre – seit sie übereingekommen waren, pfleglich miteinander umzugehen, gute Freunde zu sein – waren sie an diesem Abend immer zusammen essen gegangen. Wenn alles lief wie geplant, würde er Chloe bei ihrem Treffen höchstwahrscheinlich zu berichten haben, dass er verlobt war.
    Der Gedanke verschwand in einem schwarzen Loch in Marks Innerem. Er rief nicht an.
    Dann kam ihm eine Idee. Statt am Nachmittag einen Ring kaufen zu gehen, würde er das nachholen, was er schon vor Tagen hätte tun sollen: Er würde die drei Stunden nach Indianapolis fahren und seinen Vater in seinem Büro überraschen. Sam unterrichtete Geschichte an der Butler University, aber freitags hatte er keine Kurse; er würde bis zum Abend am Schreibtisch sitzen und an seinem neuesten Buch arbeiten, einer politischen Studie über den Goldrausch in Colorado. Mark würde hinfahren und ihm von Allison erzählen.
    Augenblicklich fühlte er sich besser. Er hatte Lew in seine Pläne eingeweiht und sie damit zu einer Realität gemacht, und sein Herz schlug schneller, als er sich nun vorstellte, wie er auch seinen Vater einweihte. Er hatte Sam zu sehr vernachlässigt, dafür konnte er jetzt Abbitte leisten. Er konnte der gute Sohn sein, als den sein Vater ihn immer pries.
    Von unterwegs rief er Allison an, um ihr Bescheid zu sagen. »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte sie nach einer Pause.
    »Mir geht’s gut«, sagte er munter, »ich habe mich einfach in letzter Zeit zu wenig um Dad gekümmert. Das wird eine schöne Weihnachtsüberraschung für ihn.«
    Allison und sein Vater hatten sich schon mehrere Male gesehen. Sam war sogar extra nach Columbus gekommen, um ihnen beim Umzug zu helfen. Sie ist klasse, hatte sein Vater am Umzugsabend gesagt, als er und Mark verschwitzt neben dem Transporter standen. Und nach kurzem Überlegen hatte er hinzugefügt: ganz große Klasse.
    »Und es ist auch sicher alles in Ordnung mit dir?«, fragte Allie.
    Zum wiederholten Mal wünschte er sich, nicht so durchschaubar zu sein, wie ihn alle Welt offenbar
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