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KALTHERZ

KALTHERZ

Titel: KALTHERZ
Autoren: Irmgard Schürgers
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Kapitel 1
     
     
     
     
     
     
     
    Die Leiche saß an die Hauswand gelehnt, die Beine au s gestreckt und gespreizt, die Arme hingen am Körper heru n ter, der Kopf war zur Seite geneigt. In dem rundlichen G e sicht fielen die mandelförmigen Augen auf und die kleine Hautfalte in den inneren Augenwinkeln. Sie gaben dem G e sicht etwas Kindliches, wozu der spä r liche Haarwuchs noch beitrug. Er sah aus, als ob er schliefe. Arme und Beine schienen zu kurz geraten im Vergleich zum Körper. Der Körper steckte in dünnen ausgebeulten Baumwollhosen, das karierte Hemd und die helle Win d jacke waren fleckig.
    „In dem Zeusch wäre ich auch erfrorn“, wandte sich Professor Hof f mann an Katja Lehman. Sein Atem bildete kleine Wolken beim Reden in der eiskalten Luft. Ob sie sich je an den Frankfurter Dialekt gewöhnen würde? Aus Hannover, wo sie aufgewachsen war, war sie nur hoc h deutsch g e wöhnt, besonders der hessische Dialekt tat ihr noch immer ein bisschen in den Ohren weh. Katja Le h mann war heute Morgen von den Kollegen nach Sachse n hausen geschickt worden. Ein Routinefall offe n sichtlich.
    „Können Sie schon sagen, wann er gestorben ist und ob Fremdeinwirkung ausgeschlossen ist?“, fragte Katja den Arzt.
    „Liebe Kolleschin“, begann er gönnerhaft, „immer lan g sam mit de junge Pferde, was ich von auße sehe kann, is, dass er erfrorn is. Ob des alles is und wann er gestorbe is, dafür muss ich ihn mir genauer ansehn und des dauert sei Zeit.“
    „Ich will möglichst schnell wissen, ob die Kälte wirklich der ei n zige Grund für seinen Tod war“, beharrte die Kommissarin.
    Er grummelte sich was in seinen Bart und wandte sich wieder dem Toten zu. Professor Hoffmann gehörte bei der Frankfurter Kripo quasi zum Inventar. Mit seinen 58 Ja h ren hatte er schon viel gesehen und war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Katja wünschte sich ein Stück seiner stoischen Ruhe. Zweifel nagten an ihr, ob sie auch zu di e sem Fall geschickt worden wäre, wenn sie nicht als Frau, sondern als män n licher Wunschkandidat in der Abteilung K 1 im Dezernat der Kripo angefangen hätte. Sie wusste, dass sie sich mit ihrer Erfahrung bei der Sitte und ihren e x zellenten Beurteilungen nicht verstecken musste, dennoch spürte sie Unsicherheit. Die ungewohnte U m gebung eines Behinderten-Wohnheims trug auch nicht d a zu bei, dass sie den Fall gelassener anging. Wenn es übe r haupt ein Fall war.
    Lothar Meyer war mit dem Down-Syndrom auf die Welt g e kommen. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr lebte er im Jakob-Rohmann-Haus, einem Wohnheim für B e hinderte, wie ihr Magnus Knab, der Leiter des Heims, g e sagt hatte. Wie konnte der Behinderte unter dem Fenster seines Zimmers im Erdgeschoss einfach erfrieren? Was machte er in einer eiskalten Februarnacht im Freien, anstatt in seinem Bett zu liegen? Wieso hatte niemand bemerkt, dass einer der Hei m bewohner nicht in seinem Bett schlief?
    Sie ging um die Hausecke zum Haupteingang des G e bäudes und war froh, wieder in geheizte Räume zu ko m men. Trotz Stirnband, dicker Jacke und g e fütterten Stiefeln war Katja durchgefroren. Der Griff der Eingangstür war mit einem dicken Lederband so präpariert, dass die Tür nicht ins Schloss fallen konnte. Sie stieß sie auf und stieg die wenigen Stufen hinauf, die sie zu den Büroräumen der Betreuer brachte. Es war ruhig im Haus. Die Bewohner a r beiteten noch in den vier B e hinderten-Werkstätten, die auf die verschiedenen Bezirke Frankfurts verteilt waren. Ma g nus Knab erwartete sie. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihn schon mal irgendwo gesehen hatte, aber es war ein flücht i ges Bild, es konnte genauso gut auch Einbildung sein. Sie hatte oft das Gefühl, dass es einen bestimmten B e stand – wie sie es nannte – von Menschen gab, die sich in A b wandlungen immer wiederholten. Im Urlaub fiel ihr das b e sonders auf. Da begegnete sie Leuten, die irgendwelchen Nachbarn zu Hause täuschend ähnlich sahen. Sie hatte mit Jochen schon oft im Spaß darüber diskutiert, dass es offe n bar nur eine bestimmte Anzahl von menschlichen Prot o typen gab. Meistens wurden ihre G e spräche dann jedoch ernster und sie diskutierten über die En t stehung der Welt, er der Atheist, sie, die zwar mit der Kirche nichts anfangen konnte, sich sonst aber durchaus als gläubigen Menschen b e trachtete.
     
    Magnus Knab war nicht viel größer als sie, ein blasser Typ mit hellen Haaren, bleicher, ein wenig au f gedunsener Haut. Im linken
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