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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Autoren: Isabel Beto
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sie der Tod herrschte, war Begreifen in seinen Augen zu lesen. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes.
    «Janna, ich …»
    «¡Basta ya!» Der zweite Spanier stapfte auf ihn zu, raffte im Vorbeigehen einen der Karabiner auf und rannte los. Janna wurde zurückgestoßen, sah Arturos Oberkörper hochschnellen; er entriss Reinmar die Waffe, drehte sie und rammte sie dem Heranstürmenden in den Bauch. Er sackte wieder hin und musste sich mit den Händen abstützen. Seine Zähne knirschten von der Anstrengung, nicht gänzlich zu fallen. Das Blut, das ihm aus der Streifwunde am Arm floss, quoll warm in ihr Kleid, als sie ihn zu stützen versuchte. Das Sterben des Spaniers, der mit den Fersen gegen den Boden schlug und heulte, nahm sie nur aus den Augenwinkeln wahr.
    Reinmar raffte die Waffe wieder an sich. Sie schien doppelt so schwer geworden zu sein, da er Mühe hatte, sie hochzuhalten. Wo war der andere Soldat? Er hatte seine Pistole fallen lassen und gab Fersengeld.
    «Wie hat er das gemacht?», fragte Reinmar kopfschüttelnd, als sei Arturo nicht anwesend und wach. «Er war so schnell.»
    «Wie, weiß ich nicht», erwiderte sie an Arturos Statt, und das voller Stolz. «Aber dass er es tut, hätte ich dir sagen können.»
    Beide Männer zugleich wischten sich mit den Handrücken den Schweiß aus den Augen. Während Arturo noch mit sich selbst kämpfte, starrte Reinmar dem davonlaufenden Desperado nach. Wirklich wahrzunehmen schien er ihn nicht. Auch er focht einen inneren Kampf aus, doch den anderer Art.
    «Du kannst diesen Kampf nicht gewinnen», sagte sie noch einmal. Und staunte über die Ruhe, die sich in ihrem Körper ausbreitete, als wüsste er, dass es anders nicht zu ertragen war.
    Reinmar ließ die Waffe fallen, wankte rückwärts zur Wand, stieß dagegen und sank an ihr nieder. Er legte die Arme auf die angezogenen Knie und verbarg sein Gesicht. Janna umschlang den keuchenden Arturo. Seine zittrige Hand tastete nach ihrer.
    Ein Zischen und der Gestank nach Verbranntem ließen sie aufmerken. Erschrocken hielt sie den Atem an. Eine der Ecken der Flagge fehlte, als habe ein Riese hineingebissen und einen schwarz verkohlten Rand hinterlassen, von dem Wasser troff. Daneben stand Frau Wellhorn mit einem Eimer. «Ich will nach Hause!», jammerte sie. «Bei Gott!»

Epilog
    Die Schaufelräder gruben sich ins Wasser, rissen es hoch und ließen es in Bächen über die Kanten der Bretter fließen. Ein dumpfer Höllenton dröhnte aus dem riesigen Schornstein. Entgegen der Strömung, ohne Segel, wenngleich es über eine Takelage verfügte, bewegte sich das Dampfschiff den Orinoco hinauf. Am Heck wehte die farbenfrohe Flagge der independencia .
    «Bei Gott, was bin ich froh, ein richtiges Schiff zu besteigen, nicht so eines mit Mühlrädern an den Seiten», empörte sich Frau Wellhorn. «Seit Menschengedenken waren Segel gut genug. Warum muss man daran etwas ändern? Aber es passt zu diesem – wie sagte der Herr Bolívar? –, zu diesem halben Globus, der verrückt spielt. Hoffentlich ist die andere Hälfte friedlich.»
    Das war sie, zumindest im Deutschen Bund; so stand es in dem Brief aus Hamburg, den Janna von Reinmar ausgehändigt bekommen hatte. Ein wenig beneidete sie Frau Wellhorn, die bald den Vater wiedersehen würde. Gisela, deren Hand Hinrich Sievers dem Sohn eines seiner Handelspartner gegeben hatte, sehr zur Freude seiner Tochter. Friedhelm, der seine ‹Grappen›, zur See fahren zu wollen, aufgegeben hatte und nun, wie es alle Söhne hanseatischer Geschäftsleute taten, durch die Kontore der Kaufmannschaft tingeln musste, sehr zu seinem Verdruss. Oma Ineke, die nach wie vor am Gartenteich saß, ihren Rum im Tee genoss und den alten Jimmy hinter den Schlappohren kraulte. Dort würden sich bald die Blätter ringsum bunt färben und fallen, die Kastanien den Rasen übersäen, und der nächste Schietwetterwinter würde Einzug halten.
    «Dort dürfte so viel Frieden sein, dass es kaum auszuhalten ist», erwiderte Janna. «Man ist das ja gar nicht mehr gewohnt.»
    «Na, na, über so etwas spottet man nicht.»
    «Verzeihen Sie. Bitte grüßen Sie meine Familie von mir.»
    «Natürlich.» Frau Wellhorn blickte über die Schulter zu der Dreimastbark, die sie über den Atlantik bringen würde. Eine Dame mit Sonnenschirm und einem leuchtend roten Spenzer schritt über die Laufplanke, das Kleid galant gerafft. Ein Herr folgte ihr mit ihrer Hutschachtel unter dem Arm. An Passagieren, die helfen
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