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Der zweite Tag

Der zweite Tag

Titel: Der zweite Tag
Autoren: Eden Bell
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Ich spürte den Zeitdruck, die Angst. Beides wanderte von meinen Füßen hoch bis zu meiner Brust. Ich tat alles, um mich nicht zu verkrampfen. Ich brauchte mich nicht auf meine Bewegungen konzentrieren, jedes Handeln in jeder Sekunde geschah automatisch. Das Wasser wurde tiefer, schwärzer als schwarz. Ich nahm all meinen Mut zusammen, sog Luft in meine Lungen und tauchte voller Hoffnung und Vertrauen unter. Wenn ich meine Spuren verwischen konnte, dann nur hier. Überall sonst, auf Erde, Asphalt und Gras würde ich eine leichte Beute sein. Seit Kindertagen war ich eine Wasserratte gewesen, immer gerne dort, wo Bäche, Teiche und Seen waren. Das Meer hatte ich zwar noch nie gesehen, werde es vermutlich auch nie sehen, aber ein Teil von mir fühlte sich einfach geborgen im großen, kühlen Nass. Ein Element, das mir Kraft gab. Mein Verfolger und seine teuflischen Begleiter waren mir sehr dicht auf den Fersen. Verschwommen hörte ich das Bellen der Höllenhunde.
      Im Tauchen befreite ich mich von meinen Schuhen, die nur schwerer Ballast waren. Mein Verstand arbeitete schnell, aber nicht schnell genug für meine Bedürfnisse. Welchen Weg konnte ich nehmen, wenn ich floh? Konnte ich es verantworten, Elias hier zurückzulassen, ohne ihm den Brief geben zu können? Die Nacht war noch jung, also hatte ich die Chance, eine große Di stanz zurückzulegen. Immer vorausgesetzt, dass Adrian mich nicht erwischte.
      Ich stieß Luftblasen an die Wasseroberfläche. Mein Luftvorrat wurde knapp. Ich versuchte P anik zu vermeiden. Ich sah überhaupt nichts mehr. Ich folgte dem Verlauf eines schmalen Ganges in diesem Fluss. Und auf einmal verlor ich alles von mir, meine Gedanken, mein Augenlicht, überhaupt all meine Sinne, aber vor allem meine Hoffnung. Das Knistern eines Feuers weckte mich. Ich wusste nicht, wo ich war, nur dass mich mein eigener Schrei erschreckte. Er war lauter als jedes Geräusch, das ich je erzeugt hatte. Vor mir tat sich eine Kreatur auf, die ich nur aus Märchen, Sagen und Filmen kannte. Ein Zentaur blickte mich mit milde und verständnisvoll, vielleicht sogar ein wenig schnippisch an und die Schatten der Flammen tanzten auf seinem leicht behaarten Oberkörper. Rumpf und Beine waren die eines Hengstes, sein Gesicht war von stolzer Herkunft; Weisheit und Selbstvertrauen spiegelten sich in seinen Augen. Ich beruhigte mich nur langsam. Ich wusste, dass es so weit war, ich verlor endgültig meinen Verstand.
      Der Zentaur beugte sich herab: „Welche Nachricht willst du zuerst hören? Die gute oder die schlechte?“ Er schielte etwas.
      Ich schluckte. Hätte gerne geantwortet, aber ich brachte keine Silbe heraus. Ich stützte meine Hände ab, fröstelte, kniff die Augen zusammen, verharrte im regungslosen, schwarzen Zustand des Nichtstuns. Jeder Versuch, meine geistige Gesundheit aufzuspüren, scheiterte. Vielleicht war dies die Strafe für all meine Untaten und Verbrechen. Ja, das klang plausibel. Ich musste mich am heutigen Tag des Jüngsten Gerichtes verantworten.
      „Erde an Vampir, Erde an Vampir! Jemand zuhause?“ Der Zentaur klopfte mit seiner rechten Hand recht unsanft auf meinen Kopf.
      Abgesehen davon dass ich mich fragte, warum er wusste dass ich ein Blutsauger war, setzte ich die Puzzleteilchen nur langsam zusammen, die eine Erklärung für diese Situation waren. „Wo bin ich hier? Ich müsste doch ertrunken sein“, stammelte ich.
      Das stattliche Fabelwesen mit dem glänzenden Fell schaute mich abschätzig an. „Als könntet ihr Bastarde auf diese Weise sterben!“ Er schüttelte den Kopf. „Du hast den Übergang zur Unterwelt geöffnet, einem Lebensraum tief unter der Erde eurer Straßen und Felder, und hast ein paar Geschöpfe mitgebracht, die wir hier so überhaupt nicht brauchen können. Und glaub bloß nicht, dass wir scharf auf deine Gesellschaft sind.“
      Er sprach mit einem ausländischen Akzent, den ich nicht recht zuordnen konnte. Ich schmu nzelte aufgrund seiner direkten, sarkastischen Art. Die Welt der griechischen Götter und Fabeltiere erschien mir schon immer sehr ironisch, Mister Menschenhengst bestätigte dies nur. Für den Bruchteil einer Sekunde entstand in meinem Kopf ein Bild von einer körperlichen Vereinigung, das sich aber schnell verflüchtigte, weil der Zentaur mir abermals auf den Kopf schlug. Als wäre ich ein Schuljunge, der etwas angestellt hatte. Obwohl, Sex mit einem Zentaur setzte ich nun auf meine To-Do-Liste.
      „Du Narr!“, fuhr er mich
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