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Der zweite Tag

Der zweite Tag

Titel: Der zweite Tag
Autoren: Eden Bell
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an.
      Ich befürchtete schon, er hätte meine Gedanken gelesen und lief puterrot an.
      „ Du hast dich mit der Hölle höchstpersönlich angelegt, die Schergen des Teufels könnten nicht gefährlicher sein. Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Er zeterte und lamentierte, dass mein ehemaliger Geschichtelehrer neidisch geworden wäre.
      „Woher weißt du das alles?“ Ich schaute vermutlich drein wie ein Schaf, das zum ersten Mal erkannte, dass aus der Zitze des Muttertieres Milch kam.
      „Glaub nicht du könntest in deiner Welt zum Vampir werden und eine Gang Bang mit Nachtelfen veranstalten und niemand würde darüber reden. Wir sind auch nur Kreaturen der Schöpfung, vielleicht älter als ihr, aber das ist ja gerade so als würde bei euch Prinz Harry eine Orgie feiern und nackt fotografiert werden. Nur dass er nicht mit seinem Leben dafür bezahlen muss.“ Den letzten Satz sagte der Zentaur um ein Vielfaches ernster und mit Nachdruck.
      Ich schwieg.
      „Mein Name ist Neuss, ich habe dich gefunden, als ich auf der Jagd nach meinem Mittagessen war. Wir befinden uns hier etwa hundert Meter unter der Welt, die du dein Zuhause nennst. Der Fluss ist eine Art Verbindung. Hier unten leben nur Wesen, die kein Sonnenlicht brauchen und wir sind froh, wenn wir in Ruhe gelassen werden. Aber ich bin kein Untier und habe so etwas wie ein Gewissen, also werde ich dir helfen. Nur, um dann endlich wieder ungestört um meine große Liebe, die schöne Tirana balzen zu können.“
      Gut, schwule Ader hatte er wohl keine. Aber eine andere Frage musste ich unbedingt stellen. „Wo sind meine Verfolger?“
      „Du weißt also, wen du mitgebracht hast?“, erwiderte Neuss.
      Ich nickte.
      „Der Vampir mit seinen Hunden hat deine Fährte am Strudelgraben verloren, die Stelle vom Fluss, die einem unterirdischen Wildbach gleicht. Aber er ist hier und wenn wir mit unserem Kaffeeplausch hier weitermachen, wirst du sein süßes Häppchen für Zwischendurch und die Hunde kriegen deine Knochen.“
      Kurzes Kopfkino. Ich zerfleischt, halb tot am Boden liegend. Über mir die Lefzen der schwa rzen Tiere, der schwere Geruch von Blut überall… Gedankensprung. Ich, Jakob, bin auf der Flucht. Und ein altkluger Zentaur wird mir helfen. Meine Chancen standen gar nicht mal so schlecht.
      „W o soll ich hin und wie komme ich wieder nach oben?“ Ich brachte die Problematik auf den Punkt. Erst jetzt, wo die Nachwirkungen meiner Ohnmacht nachließen, bemerkte ich die extreme Hitze. Dieser Platz war nicht zu vergleichen mit der Höhle der Nachtelfen, die Temperaturen erinnerten eher an einen Heuschober zur Mittagszeit im Juli.
      Neuss blickte mir tief in die Augen. „Dein Adrian wird jeden Moment hier sein. Ich werde dir und Lexxer einen Vorsprung verschaffen.“ Neuss‘ Blicke schweiften ab. Er schien jemanden herbeizurufen.
      Ich fühlte mich wie schon viele Male zuvor überfordert. „Äh, wer ist Lexxer?“
      Im nächsten Moment stand ein junger Zentaur vor mir, in der Blüte seines Daseins, mit blo ndem Haar und einem draufgängerischen Lächeln, dass es meine Knie weich werden ließ.
      „Keine Zeit für Erklärungen, müssen uns auf den Weg machen, komm schon“, forderte der schöne Zentaur mich auf. Ich brauchte etwas, um mich aus meiner Lethargie zu lösen. Wie gerne hätte ich einfach mal die Pause-Taste gedrückt, um zu Atem zu kommen, aber Lexxer hatte mich bereits bei der Hand gepackt und unter lautem Traben von Pferdehufen traten wir die Flucht an. Wie tröstlich, dass weiße Herbstanemonen unseren Weg säumten, fast wie Wegweiser. Für verlorene Seelen, Schattenblüher.
     
    *
     
    Meine treuen Gefährten fanden die Fährte schon nach wenigen Metern wieder. Oh wie ich diesen dreckigen, stickigen Untergrund hasste! Musste der kleine Strolch ausgerechnet ins Andersreich stolpern? Wäre er in den Wald gerannt, hätten wir ihn spätestens nach fünf Minuten gefangen und dann hätte ich ihn endlich für mich gehabt. Na gut, einen Teil hätten auch meine hungrigen Freunde abbekommen. Ich glaube Jakob hat die Spielregeln nicht verstanden. Er setzt sich einer Belastung aus, die seinem Körper mehr schadet als nützt. Denn am Ende dieser Nacht wird er mir gehören und ich werde es genießen, sein Fleisch mit meinen Nägeln zu zerreißen, sein Herz zu umklammern, seinen Lebensfaden zu durchtrennen. Nie hat Jagen mehr Spaß gemacht, als wenn das Opfer Liebe, Zuneigung oder Freundschaft für den Jäger empfindet.
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