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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Autoren: Isabel Beto
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erschöpft. Was sollte er hier ausrichten? Oder würde er zu Bolívar gehen und ihn um Hilfe bitten? Nein. Auf einen solchen Gedanken käme er nicht.

    Kopf hoch, auch wenn der Hals schietig ist . Oma Ineke kniff die Augen zusammen und studierte das Etikett der Rumflasche. Sie zog den Korken ab und goss sich einen reichlichen Schluck in den Tee. Dann rührte sie mit einer Zimtstange ausgiebig darin herum.
    Du solltest auch ein Tässchen trinken, min Lütten . Dann sieht alles nicht mehr so schlimm aus.
    Janna hob eine matte Hand und winkte ab. Hilft doch nichts. Ach, Steuermann, lass mich an Land.
    Nein, nein, aufgegeben wird jetzt nicht. Du bist doch keine von den zartbesaiteten Fruunslüüd, die quieken, wenn der Fensterladen ein bisschen rappelt. Also hoch mit dir.
    Ach, Oma …
    Hoch mit dir!
    Janna gehorchte und stand auf, auch wenn es schwerfiel, denn was sie durch ihre Lungen zwang, schien von fester Konsistenz zu sein und sich wie schweres Blei in ihren Gliedern abzulagern. Durch die Ritzen des zugenagelten Fensters drang noch Licht, aber man konnte erkennen, dass es auf die Nacht zuging. Irgendwann zur Mittagszeit war sie gekommen; demnach harrte sie seit fünf oder sechs Stunden hier aus. Frau Wellhorn döste in ihrem Sessel, die dünnen Lippen fest zusammengepresst – wahrscheinlich würde sie später leugnen, auch nur ein Auge zugetan zu haben. Lucila brütete vor sich hin. Ebenso Reinmar. Sein finsterer Blick war angetan, einem Angst einzujagen. Aber dachte er wirklich über die spanischen Soldaten nach?
    «Haben die uns vergessen?» Janna stapfte zur Tür und rüttelte an der Klinke. «He! Ihr da draußen! Habt ihr uns vergessen?»
    «Janna!» Er riss sie zurück.
    Ungehalten schüttelte sie ihn ab. «Ich habe solchen Durst, dass es mir langsam egal ist, ob sie mich erschießen.»
    «Du redest Unsinn, und das weißt du. Setz dich wieder hin.»
    Weshalb unternahm er nichts? Aber wahrscheinlich hatte er Dutzende Male an dieser Tür gerüttelt. Er setzte sich wieder. Sein Halstuch, mit dem er sich wieder und wieder über das Gesicht fuhr, war nass.
    Janna gab Ruhe; die Soldaten kümmerte ihr Aufbegehren ohnehin nicht. Noch einmal versuchte sie sachlich über diese verfahrene Situation nachzudenken. Vielleicht würden die Soldaten im Schutz der Nacht verschwinden; länger würden sie so nah bei der Stadt gewiss nicht bleiben wollen. Wie groß war die Gefahr, dass die Befreiungsarmee sie aufstöberte? Das war nicht einzuschätzen. Diese Desperados würden ihre Gefangenen einfach töten oder vergessen …
    «Es muss doch möglich sein, diese Tür …»
    Ein Schuss fiel. Ein Schrei. Das Getrampel mehrerer Füße. Rettung? Oder brachten sie sich gegenseitig um?
    Es folgte Stille. Eine lange, unerträgliche Stille. Was war geschehen?
    Arturo. Bist du es?
    Janna hob eine flache Hand, wollte gegen die Tür schlagen. Sie wagte es nicht.
    «Er ist es nicht», sagte Reinmar in ihrem Rücken.
    Du willst nur nicht, dass er es ist .
    «Er kann niemals mit denen fertigwerden.»
    Du willst es nur nicht  …
    Sie schluckte, krächzte: «Er kann.» Wunschdenken? Vorhin hatte sie es bezweifelt. Sie dachte daran zurück, wie Arturo die Banditen im Delta niedergestreckt hatte. Zerlumpte Gestalten, ja, aber er war so schnell gewesen … Ganz zu schweigen von dem, was er in der vorigen Nacht erzählt hatte. «Er kann!»
    Ein heftiger Schlag ließ die Tür erzittern. Mit hochgerissenen Händen sprang Janna zurück. Reinmar wollte sie fortziehen; auch Lucila griff nach ihrem Arm, und ihr gelang es erst, sich ihnen zu entwinden, als wieder alles ruhig war. Reinmars heißer Atem strich über ihren Nacken. Jeder, sogar Frau Wellhorn, war bemüht, möglichst leise zu atmen.
    Es war still.
    «Ich halte das nicht mehr aus», wisperte Janna. Sie drehte sich um die eigene Achse – irgendetwas musste es doch geben, das diese Tür öffnete! Sie stürzte auf die Ecke zu, wo Holzsplitter und Scherben lagen. Hier war nichts, gar nichts! Was hoffte sie auch zu finden? Einen Schlüssel? Glas schnitt in ihre Hand, als sie es beiseitefegte. Eine Zigarrenkiste, bis auf ein paar dunkle Krümel leer … Eine Ausgabe der von Bolívar neu gegründeten Zeitung. Ein Buch, noch ein Buch … Sogar die deutsche Zeitung für die elegante Welt , erst ein paar Wochen alt. Himmel, wie war Reinmar denn daran gekommen? Fast hätte sie aufgelacht. Hätte sie nur früher nachgesehen, so hätte sie sich wenigstens die Zeit vertreiben können. Dieses grün
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