Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amsterdam

Amsterdam

Titel: Amsterdam
Autoren: Ian McEwan
Vom Netzwerk:
brüskieren. Kein Entkommen. »Zeigen Sie mir den Weg«, sagte er und wurde an Grüppchen umstehender Freunde vorbeigeführt, von denen einige errieten, wohin er ging, und ihn seinem Führer abspenstig zu machen suchten.
    »He, Linley. Keine Unterredung mit dem Feind!«
    In der Tat, der Feind. Was hatte sie nur an ihm gefunden? Der Typ sah eigenartig aus: großer Schädel, gewelltes, schwarzes Haar, das noch ganz sein eigenes war, eine entsetzliche Gesichtsblässe, schmale, unsinnliche Lippen. Seinen Lebensunterhalt auf dem politischen Markt hatte er sich verdient, indem er eine nicht eben außergewöhnliche Palette von fremdenfeindlichen und extremen strafrechtlichen Ansichten feilbot. Vernon hatte eine schlichte Erklärung parat gehabt: ein hochrangiger Arsch, scharf wie Holzessig. Aber das hätte sie auch anderswo finden können. Es mußte auch an jenem verborgenen Riecher gelegen haben, mit dessen Hilfe er dort angelangt war, wo er sich jetzt befand, und der ihn im Augenblick [21]  dazu trieb, dem Premierminister seinen Posten streitig zu machen.
    Der Referent bugsierte Clive in eine hufeisenförmig arrangierte Gruppe um Garmony, der offenbar eine Ansprache hielt oder eine Geschichte zum besten gab. Er unterbrach sich, um seine Hand in Clives zu schieben und, als seien sie unter sich, eindringlich zu murmeln: »Schon seit Jahren möchte ich Ihre Bekanntschaft machen.«
    »Guten Tag.«
    Damit alle ihn hören konnten – darunter zwei junge Männer mit dem angenehmen, offen unaufrichtigen Aussehen von Klatschkolumnisten –, sprach Garmony lauter. Der Minister hatte seinen Auftritt, und Clive diente ihm als Requisit. »Meine Frau kennt einige Ihrer Klavierstücke auswendig.«
    Schon wieder. Clive überlegte. War sein Talent so domestiziert und gezähmt, wie manch einer seiner jüngeren Kritiker behauptete – der Górecki der denkenden Bevölkerung? »Sie muß gut sein«, sagte er.
    Es war schon eine Weile her, daß er einen Politiker aus nächster Nähe gesehen hatte, ihm war das Huschen der Augen entfallen, die rastlose Ausschau nach neuen Zuhörern oder Abtrünnigen, nach der Nähe einer Persönlichkeit von höherem Rang oder einer anderen wichtigen Gelegenheit, die womöglich ungenutzt verstrich.
    Garmony sah sich um und versicherte sich seines Publikums. »Sie war hochintelligent. Goldsmith’s, dann Guildhall. Ihr stand eine fabelhafte Karriere bevor…« Dem komischen Effekt zuliebe legte er eine Kunstpause ein. »Dann lernte sie mich kennen und verlegte sich auf Medizin.«
    [22]  Nur der Referent und eine weitere Mitarbeiterin des Ministers kicherten. Die Journalisten blieben ungerührt. Vielleicht hatten sie das alles schon einmal gehört.
    Der Blick des Außenministers hatte sich wieder an Clive festgehakt. »Da war noch etwas. Ich wollte Sie zu Ihrem Auftragswerk beglückwünschen. Zur Millenniumssinfonie. Wußten Sie, daß die Entscheidung auf Kabinettsebene gefallen ist?«
    »Ich habe davon gehört. Und Sie haben für mich gestimmt.«
    Clive gestattete sich einen Anflug von Überdruß, Garmony indes reagierte, als habe er ihm überschwenglich gedankt. »Das war das mindeste, was ich tun konnte. Einige meiner Kollegen wollten den Burschen da, diesen Popstar, den Ex-Beatle. Wie auch immer, wie kommen Sie voran? Fast fertig?«
    »Fast.«
    Seine Gliedmaßen waren seit einer halben Stunde steif, doch erst jetzt drang die Kälte bis in sein Innerstes. In der Wärme seines Arbeitszimmers säße er jetzt in Hemdsärmeln da und würde an den letzten Seiten dieser Sinfonie arbeiten, deren Uraufführung in wenigen Wochen erfolgen sollte. Zwei Abgabetermine hatte er bereits überschritten, und er sehnte sich nach Hause.
    Er hielt Garmony die Hand hin. »Schön, Sie kennengelernt zu haben. Ich muß mich jetzt auf den Weg machen.«
    Aber der Minister ergriff seine Hand nicht, sondern sprach über ihn hinweg, denn die Gegenwart des berühmten Komponisten ließ sich noch weidlich ausschlachten.
    »Wissen Sie, ich habe oft gedacht, was meine eigene [23]  Arbeit lohnenswert macht, ist die Freiheit von Künstlern wie Ihnen, ihrer Arbeit nachzugehen…«
    Es folgte dergleichen mehr. Clive schaute zu, seine Miene verriet in nichts seinen wachsenden Widerwillen. Auch Garmony gehörte zu seiner Generation. Das hohe Amt hatte seine Fähigkeit ausgehöhlt, mit einem Fremden von gleich zu gleich zu reden. Vielleicht war es das, was er ihr im Bett geboten hatte: der Kitzel des Unpersönlichen. Ein Mann, der sich vor Spiegeln
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher