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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert
Autoren: Gord Rollo
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sie ihn nach Belieben aufschlitzen und sezieren könnten, und das würde ich nicht gestatten. Der Zug war zwar schwerer zu erreichen und würde möglicherweise für einen qualvolleren Tod sorgen, wenn er mich nicht beim ersten Aufprall erledigte, aber zumindest würde von mir nichts zurückbleiben, was größer war als ein Brotkasten. Ich hatte Bilder von Zugunfallopfern gesehen, und Mann, die meisten mussten von den Schienen gekratzt und in kleinen Plastikkühlbeuteln weggebracht werden. Sollten die Wissenschaftler der Regierung so versuchen, an mir zu forschen. Viel Glück.
    Wichtiger noch, wenn man meine Überreste auf der Eisenbahnstrecke identifizierte, würde meine Tochter Arlene trotzdem ihr Geld fürs College aus meiner Lebensversicherung erhalten. Gute alte Zahnarztunterlagen. Wenigstens meine Zähne waren noch meine eigenen. Arlene und Gloria würden keine Ahnung haben, weshalb ich so weit von Buffalo entfernt in den Wald gewandert war, aber das würde auch niemand sonst wissen. Niemand wusste, dass ich je hier gewesen war, und das war gut. Die Versicherungsleute würden zwar zetern, letztlich jedoch bezahlen müssen. Der Gedanke brachte mich zum Lächeln.
    Ich konnte mich nicht erinnern, Gleise überquert zu haben, als Jackson mich den Waldweg entlang zu meiner vermeintlichen Todesstätte brachte, und ich war dem Weg ziemlich weit gefolgt. Ich vermutete, dass Dr. Marshall und Drake wussten, wo die Schienen verliefen, und den Weg zu ihrem makabren Friedhof in der entgegengesetzten Richtung angelegt hatten. Schließlich hatten sie sicher nicht gewollt, dass die Eisenbahnmannschaften vorbeifuhren, während Drake gerade eine frische Leiche in einem flachen Grab entsorgte. Nein, die Schienen würden weitab vom Pfad sein; als dieser nach rechts ausscherte, schlug ich mich daher nach links durch die Bäume.
    Ich war zwar recht zuversichtlich, dass ich die Gleise finden würde, aber nicht, ob es mir rechtzeitig gelänge. Dem Pfeifen nach schien der Zug bereits ziemlich nah zu sein, aber da sich Geräusche in freier Natur weit ausbreiten, befand er sich vermutlich noch meilenweit entfernt.
    Ich beeilte mich, so gut es ging. Mein Knie pochte bei jedem Schritt über das unebene, verwilderte Terrain. Der Pfad lag mittlerweile weit hinter mir, und mein Orientierungssinn ließ mich allmählich im Stich. Rings um mich gab es nur Bäume und Büsche. Kein Wunder, dass sich ständig Menschen in Wäldern verirrten. Es sah alles gleich aus. Zehn Minuten lang kämpfte ich mich vorwärts, setzte einen Fuß vor den anderen, und hoffte, dass ich in einer einigermaßen geraden Linie lief. Vor mir stieg das Gelände an, und als ich die Kuppe des Hangs erreichte, endeten die Bäume. Statt auf gefrorenem Boden stand ich plötzlich auf Gesteinsbrocken und Schotter.
    Und vier Meter vor mir befanden sich die Schienen.
    Bingo!
    War der Zug bereits vorbeigefahren? Das war die große Frage. Ich stellte mich mitten auf die Gleise und blickte in beide Richtungen. Nichts. Zu meiner Rechten verliefen die Schienen meilenweit pfeilgerade. Ich selbst befand mich in einer leichten Kurve, die sich zu meiner Linken erstreckte, trotzdem konnte ich die Strecke ziemlich weit entlangsehen. Ich überlegte, ob ich auf die Knie gehen und das Ohr auf die Gleise legen sollte, wie ich es in alten Western unzählige Male bei Zugräubern und Indianern gesehen hatte, doch mein Knie schmerzte zu stark, um mich zu bücken, und außerdem wusste ich nicht, was ich tun sollte, wenn ich unten wäre. Legte man das Ohr auf die Schienen, um das Geräusch der herannahenden Zugräder zu hören, oder bestand der Zweck darin, die stummen Schwingungen auf der Stahlschiene zu spüren.
    So oder so, es war nicht notwendig. Ein Blick auf die Oberfläche der Schienen verriet mir alles, was ich wissen musste – der Zug war noch nicht vorbeigefahren. Auf ihnen befand sich Rost, der abgeschabt worden wäre, sodass sie glänzten, wenn unlängst mehrere Hundert Stahlräder darüber gerollt wären.
    Wie zur Bestätigung meiner Schlussfolgerung ertönte abermals die Zugpfeife, diesmal lauter. Ich zuckte zusammen und verrenkte mir mein schlimmes Knie erneut. Ich fiel zwischen den Schienen zu Boden und versuchte, mich aufzurappeln, doch es schmerzte höllisch und war die Mühe eigentlich nicht wert. Ich schaffte es in sitzende Haltung, kauerte mich über eine Schiene und beschloss, hier zu bleiben. Nah am Boden war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass man mich sehen und eine Notbremsung
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