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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert
Autoren: Gord Rollo
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Ich hätte ihn nicht zulassen dürfen. Ich hatte keinen Moment lang die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass ich diesen Tag vielleicht überleben würde, doch nun, da ich es getan hatte, raste mein Verstand, mein Herz hämmerte wie wild, und meine Nackenhärchen richteten sich auf. Langsam kroch ein breites Grinsen auf mein Gesicht, und ich versuchte, mir einzureden, dass es nur an der sauerstoffgesättigten Luft lag, die mich so berauschte.
    Vielleicht hat Andrew recht. Wenn er das Feuerzeug bedienen kann, könnte ich durch den Flur im dritten Stock schleichen, die hintere Treppe verwenden, um hinauszugelangen, und mich im Wald verstecken. Ich hätte einen Logenplatz, um mir das große Feuerwerk anzusehen!
    Es waren üble Gedanken – alberne Gedanken. Ich musste sie sofort beenden, bevor sie anfingen, Sinn zu ergeben. Ich konnte Andrew unmöglich hier oben lassen, um es allein zu beenden. Es war meine Aufgabe. Meine Verantwortung ... oder?
    Als er die Verwirrung in meinen Zügen bemerkte, bohrte Andrew hartnäckig weiter. »Ich kann es tun. Ich weiß, dass ich es kann. Warte, lass mich dir zeigen, wie ich das Feuerzeug halte.«
    Obwohl ich mich dafür verfluchte, Hoffnung zu schöpfen, war ich neugierig und reichte Andrew das Feuerzeug. Ich half ihm, es in die richtige Position zu bringen, um zu sehen, ob er es halten konnte. Er konnte. Problemlos.
    »Was hab ich dir gesagt?«, meinte Andrew wahrscheinlich aufgeregter und glücklicher, als er es seit zwanzig Jahren gewesen war.
    Ich spürte, dass er es wirklich tun wollte – vielleicht sogar tun musste .
    »Bist du sicher, dass du es allein tun willst?«, fragte ich. Zwar kannte ich die Antwort bereits, aber ich musste es noch einmal von Andrew hören, bevor mich mein Gewissen gehen lassen würde.
    »Mehr, als du dir vorstellen kannst, Michael. Ich bin der Grund dafür, warum mein Vater besessen von Transplantationen wurde, und ohne mich gäbe es das alles hier nicht. All diese Leute sind meinetwegen gestorben.«
    »Das ist nicht wahr«, widersprach ich. »Es war die Schuld deines Vaters. Vielleicht auch die von Drake, aber auf keinen Fall deine.«
    Einen Augenblick saß Andrew stumm da, und eine Träne kullerte ihm über die Wange. »Ich weiß das. Ehrlich. Trotzdem fühle ich mich dadurch nicht besser. Es lässt sich nicht leugnen, dass heute noch viele Leute am Leben wären, wenn ich bei meiner Geburt gestorben wäre. Dagegen kann ich nichts mehr unternehmen, aber ich kann zumindest das hier tun. Ob es meine Schuld war oder nicht, dieser Wahnsinn hat mit mir begonnen; es ist nur recht und billig, dass ich derjenige bin, der ihn beendet. Irgendeinen Zweck muss mein Leben doch haben. Vielleicht ist es dieser.«
    Wie sollte ich das entkräften? Das Leben war grausam zu Andrew gewesen. Er hatte während seines gesamten Daseins immer den kurzen Strohhalm gezogen. Wenn es ihm ein Gefühl der Befriedigung, der Endgültigkeit oder vielleicht der Buße für all das Leid und den Tod verschaffte, die seinetwegen verursacht worden waren, wer war ich dann, ihm dabei im Weg zu stehen?
    Ich schob seinen Rollstuhl neben die Reihe der Reservesauerstofftanks. »Lass das Gas so lange wie möglich ausströmen, okay? Je länger, desto besser. Sobald du den Kopf eines Wachmanns im Treppenhaus auftauchen siehst, soll dein Daumen seine Magie wirken. Mach dir um mich keine Gedanken. Falls ich bis dahin noch nicht draußen bin, ist es meine eigene Schuld. Verstanden?«
    »Dann mach dich auf die Socken«, sagte Andrew mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. »Mein Abzugsfinger wird allmählich kribbelig.«
    Ich nickte und steuerte auf die Treppe zu.

Kapitel 41
    Ich hob die Pistole von der obersten Treppenstufe auf und bahnte mir so schnell und leise wie möglich den Weg in den dritten Stock hinunter. Ich hatte am ganzen Leib gewaltige Schmerzen, doch ich konnte nur die Zähne zusammenbeißen und in Bewegung bleiben. Als ich die Biegung im Flur passierte, zur hinteren Treppe ging und bereits fast den Ausgang erreicht hatte, hörte ich das Geräusch von schweren Stiefeln von der anderen Seite der Tür, und es näherte sich.
    Wachleute!
    Es musste so sein, was bedeutete, dass die Suche begonnen hatte. Im Treppenhaus herrschte starker Widerhall, deshalb konnte ich nicht sicher sein, ob die Geräusche auf dieses Stockwerk zukamen oder ob sich die Männer noch in der ersten oder zweiten Etage befanden. Es spielte keine Rolle; wenn sie unterwegs nach oben waren, konnte ich es nicht
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