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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert
Autoren: Gord Rollo
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beste Möglichkeit zu sein, die ich wahrscheinlich bekommen würde, also stopfte ich mir Drakes Funkgerät vorne in die Hose und beschloss, es zu wagen.
    Als ich die linke Fensterhälfte aufzog, fuhr mir ein eisiger Luftstoß ins Gesicht und verschlug mir den Atem. Mann, war das kalt draußen. Bei dieser Witterung würde ich nicht weit kommen, nicht so, wie ich angezogen war.
    Ich brauchte eine Jacke. Also drehte ich mich um und erblickte meine alte Jacke, die ich zuvor auf den Boden fallen gelassen hatte. Doch sie war zerfetzt, zerrissen und so voll von Drakes Blut, dass ich den Gedanken sofort verwarf. Damit blieb nur Drakes große Bomberjacke. Auch sie war blutig, aber nicht annähernd so schlimm wie meine eigene. Besser noch, sie war praktisch brandneu und eigens für diese Art frostigen Wetters gedacht. Wenngleich mir der Gedanke zutiefst widerstrebte, Drake noch einmal anzufassen, es musste getan werden. Dreißig Sekunden später hatte ich Drakes beträchtliches totes Gewicht herumgedreht, und es war mir gelungen, ihm die Jacke von den Armen zu schälen. Eingehüllt in meine schöne, warme Jacke, die mich mit einem großen Goldabzeichen zum neuen Sicherheitschef erklärte, kehrte ich zum Fenster zurück und begann, hinauszuklettern.
    Auf das Spalier zu gelangen, erwies sich als schwierig, da ich nur eine heile Hand hatte, aber sobald ich mich hinübergeschwungen hatte, stellte das Hinunterklettern kein Problem mehr dar. Ich konnte nicht wissen, ob irgendjemand die Fenster beobachtete, also humpelte ich einfach so schnell wie möglich auf die Mündung des Waldpfads zu und hoffte, das Glück würde mir noch einige Minuten hold bleiben.
    Es war ein seltsames Gefühl, sich auf die relative Sicherheit des Waldes zuzubewegen; ich sah, wie sie sich mit jedem qualvollen Schritte näherte, rechnete aber jede Sekunde mit einer Kugel in den Rücken. Ich wagte nicht, mich umzudrehen und zurückzuschauen. In meiner Fantasie sah ich deutlich vor mir, wie sich die Mitglieder von Drakes Sicherheitsteam entlang der Fenster aufreihten, mitten auf meinen Rücken zielten und nur auf das Signal zum Schießen warteten. Über das Funkgerät in meiner Hose würde ich »FEUER!« hören, eine halbe Sekunde später würde ein Kugelhagel meinen Körper zerfetzen. Die Schützen würden mich auch dann noch mit Blei vollpumpen, wenn ich bereits ausgestreckt mit dem Gesicht voraus im frostigen Gras läge.
    Ich erreichte den Waldweg ohne Zwischenfall.
    Wie ich es zuvor gemacht hatte, um nicht gesichtet zu werden, legte ich mich abseits des Pfades auf den Boden und verbrachte einige Sekunden damit, mich mit Laub zu tarnen, bevor ich schließlich zurück in die Richtung der Burg spähte. Alles wirkte ruhig. Niemand stürmte in die Kälte heraus und hinter mir her, und über Funk wurde nichts gesagt, was darauf schließen ließ, dass ich bemerkt worden war. Etwas überrascht beglückwünschte ich mich zu meiner sauberen Flucht. Alles, was noch zu tun blieb, war, stillzuliegen und auf den großen Knall zu warten.
    Lass krachen, Andrew. Spreng das Ding geradewegs in die Hölle!
    Das war aufregend. Ich konnte es kaum erwarten, den ersten Feuerball zu sehen, und wollte keinen Moment der Show verpassen, deshalb heftete ich den Blick starr auf Andrews Turm. Wenn er das Feuerzeug betätigte, würde dieses Zimmer als Erstes in Rauch und Flammen aufgehen.
    Zehn Minuten verstrichen, und nichts geschah.
    Sogar die Wachleute schwiegen über Funk, und das beunruhigte mich allmählich. Was, wenn sie meinen Plan entdeckt hatten und nun rasch und leise umhergingen, um die Gasventile zu schließen und die Fenster zum Lüften der Räume öffneten? Oder was, wenn die Wachleute das Turmzimmer gestürmt und Andrew das Feuerzeug abgenommen hatten, bevor er das Gas entzünden konnte? Oder hatte Andrew es versehentlich zu Boden fallen lassen und konnte es nicht mehr aufheben, weil er gelähmt war?
    All diese Szenarien boten Anlass zu großer Sorge, und mit jeder verstreichenden Minute wuchs die Anspannung in mir. Andrew allein gelassen zu haben, war vielleicht ein schwerer Fehler gewesen.
    Verdammt! Soll ich zurückgehen?
    Vielleicht.
    Wahrscheinlich.
    Ja.
    Ich schüttelte meine Laubtarnung ab und trat den Rückweg über die Wiese an, ohne eine Ahnung zu haben, was ich tun wollte, sollte ich es zurück bis zur Burg schaffen. Ich konnte es an einem der Kellerfenster versuchen und ...
    BUMMM!
    Das Turmzimmer detonierte. Die plötzliche Explosion traf mich unvorbereitet.
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