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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert
Autoren: Gord Rollo
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Andrew verhielt. Wollte er nicht über den Tod seines Vaters reden? Vielleicht nicht. Ich beschloss, mitzuspielen. »Ich weiß. Ich habe jedes Gasventil geöffnet, dass ich im Haus finden konnte, und nicht nur den Sauerstoff. Im ersten und zweiten Stock habe ich eine Menge Ethylen- und Ethertanks gefunden. Besser noch, bevor ich anfing, im eigentlichen Gebäude rumzuschleichen, habe ich im Keller für ordentliche Sauerstoff- und Erdgaslecks gesorgt. Inzwischen strömt das Gas schon eine Weile frei durchs Haus. Ich kann zwar nichts garantieren, aber ich vermute, wenn ich fertig bin, dürfte nicht wirklich viel von dem Ort übrig bleiben.«
    »Gut«, meinte Andrew und schockierte mich, indem er lächelte.
    Einen Moment lang fragte ich mich, ob er so verrückt wie sein Vater sein mochte, doch bald wurde mir klar, dass es ein echtes Lächeln war. Er war aufrichtig glücklich und erleichtert darüber zu erfahren, was ich vorhatte.
    »Ist das in Ordnung für dich?«, fragte ich.
    »Absolut. Michael, wenn ich aus diesem Stuhl könnte, würde ich dasselbe tun.«
    Das war schön zu hören. Und nun die schwierige Frage.
    »Und dein Vater? Ich hoffe, du verstehst ...«
    »Er war ein mieser Dreckskerl und hat bekommen, was er verdiente«, sagte Andrew. Aus seinem leisen Tonfall sprachen Jahre der Verbitterung und tief sitzender Hass für den Mann, der zwischen uns auf dem von Blut durchtränkten Boden lag. »Ich verstehe vollkommen. Nicht, dass du einen falschen Eindruck bekommst, ich habe meinen Vater früher innig geliebt. Damals dachte ich, er könne gar nichts falsch machen und sei ein Heiliger, weil er versuchte, mir zu helfen. Das war, bevor ich herausfand, wie viele Menschen er meinetwegen verletzte. Ich habe ihn angefleht, es sein zu lassen, aber er wollte mir nicht zuhören.«
    »Jammerschade«, meinte ich und versuchte, Worte zu finden, die seine Schuldgefühle vielleicht lindern würden. »Dein Vater war ein brillanter Mann ...«
    »Ja, er war brillant, nur hat sein Genie irgendwann einen Umweg in Wahnsinn und Besessenheit eingeschlagen – eine Abwärtsspirale, die letztlich zu all dem hier geführt hat. Ich meine, sieh uns nur an! Der Mann, der da auf dem Boden liegt, ist nicht mehr mein Vater; schon lange nicht mehr. Jedenfalls nicht der Vater, den ich geliebt und respektiert habe. Es mag kaltherzig klingen, aber ich bin froh, dass er tot ist. Jemand musste ihn aufhalten.«
    Ich wühlte in meiner Hosentasche und zeigte Andrew das Bic- Feuerzeug, machte es bereit für die große Show.
    »Die Aufgabe ist erst halb erledigt. Wir müssen diesen Ort vom Antlitz der Erde fegen, damit niemand hier aufkreuzen und dort weitermachen kann, wo dein Vater aufgehört hat. Ich habe kein Problem damit zu sterben, aber was ist mit dir, Andrew? Ich habe gehört, wie du zu deinem Vater gesagt hast, du würdest lieber sterben, als so zu leben. Hast du das ernst gemeint?«
    »Selbstverständlich. Ich will das bereits seit Jahren, aber es ist mir nie gelungen. Ich war entweder zu krank oder hatte einfach nicht die nötigen Körperteile, um eine Pistole zu halten oder eine Schachtel mit Tabletten zu öffnen.«
    Ja, das Gefühl kenne ich. Armer Teufel.
    »Gut, denn ich glaube nicht, dass es mir möglich wäre, dich hier rauszuschaffen. Drakes Sicherheitsteam wird bald beginnen, das Haus zu durchsuchen. Ich glaube, hier oben sind wir relativ sicher, aber ich könnte dich nicht zur Tür hinausbekommen. Außerdem bin ich zu fertig, um dich zu tragen, wir werden also wohl gemeinsam hier warten und es locker nehmen müssen. Klingt das gut?«
    »Tut es, aber warum musst du sterben? Mir ist schon klar, dass du mich nicht mitnehmen kannst – und selbst wenn, würde ich es nicht wollen; aber für dich besteht kein Grund, hier zu bleiben.«
    »Aber ja doch. Wer soll denn die Explosion auslösen, wenn ich nicht hier bin?«
    »Na ja, offensichtlich ich.«
    »Du? Aber du bist gelähmt.«
    »Ich bin größtenteils gelähmt, aber nicht vollständig. Ich kann immer noch die Finger bewegen, besonders an der rechten Hand. Sieh her ...«
    Tatsächlich. Er konnte einige Finger der linken und alle der rechten Hand bewegen. Ich beobachtete, wie er mit dem rechten Daumen auf- und abwackelte, und konnte es kaum glauben. Es war beinah so, als hätte das Schicksal oder eine höhere Macht vorgesehen, dass Andrew diesen Daumen für etwas Wichtiges benutzen sollte.
    Zum Beispiel dafür, ein Bic -Feuerzeug anzuzünden ...
    Der Gedanke hätte mir nicht kommen sollen.
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