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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Autoren: Patricia Mennen
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Der Ruf des Num

    Die Luft flirrte über der unendlichen Weite der Kalahari. Während der Mittagsstunden hatte sich die Wüste extrem aufgeheizt. Gleißend hell prallte das Licht der Sonne auf die hügelige Ebene mit ihren wenig belaubten Büschen und Sträuchern. Hin und wieder ragten einzelne Bäume wie verknöcherte Hände in den leuchtend blauen Himmel. Selbst jetzt im Winter, zur Zeit der größten Dürre, sah die Kalahari nicht wirklich wie eine Wüste aus. Und doch war sie gerade deswegen unberechenbar. Im Gegensatz zur Namib-Wüste im Südwesten des Landes, die schon durch ihre riesenhaften roten Sanddünen abschreckend wirkte, konnte die Kalahari für kurze Zeit wie ein friedfertiges Paradies erscheinen. Der Regen im Frühjahr füllte die Senken und ausgedörrten Trockenflüsse mit Wasser und ließ innerhalb kürzester Zeit vielerlei Arten von Buschgräsern ergrünen. Das Wasser lockte Abertausende von Wildtieren an. Sie strömten in Scharen in das kurzlebige Paradies, um sich fortzupflanzen. Doch das trügerische Grün verschwand so schnell, wie es gekommen war. Unbarmherzig löschte die übermächtige Sonne jeden Wasserflecken aus, ließ das Gras verdorren und hinterließ einen rissigen Boden, der wie ein zersplitterter Spiegel aussah.
    Am Horizont kreisten Geier in weiten Himmelsspiralen und warteten geduldig auf ihre Gelegenheit. Ein Löwenrudel hatte einen Springbock erlegt und riss gerade die besten Stücke aus dem Kadaver. Die Zeit der Geier war noch nicht gekommen. Hyänen umschlichen ungeduldig das Löwenrudel, näherten sich der Beute,
wurden allerdings durch grimmiges Gebrüll wieder auf Abstand gebracht, nur um sich sofort von einer anderen Seite zu nähern. Erst wenn sie ihren Hunger gestillt hatten, waren die Aasvögel und die Schakale an der Reihe, um sich um die Reste der Beute zu streiten.
    Nakeshis feine Nase nahm den Geruch frischen Blutes in der Luft wahr. Vorsichtshalber wählte sie einen Weg, der sie von dem Kill fortführte. Sie hatte sich bereits vor Stunden von ihrer Gruppe abgesondert und streifte allein durch das dicht stehende Gestrüpp. Prüfend sah sich das zierliche Buschmann-Mädchen noch einmal um. Fern am Horizont sah sie eine Armee von Regenwolken auftauchen. Sie türmten sich rasch zu unheilvollen Gebilden auf und versuchten vom Meer her in die Wüste einzudringen. Wie eine mächtige Streitmacht wurden sie vom Westwind landeinwärts getrieben, um ihre donnernde Regenlast über dem Land loszuwerden. Doch die Sonne stellte sich ihnen mit ihrer unerbittlichen Kraft entgegen. Gierig fraß sie Löcher in die Wolkenberge und zerfetzte das Ungetüm, indem sie es zerteilte, bis sich alles in harmlose Schäfchenwolken aufgelöst hatte. Nakeshi sah es mit Bedauern. Sie sehnte sich sehr nach dem ersten Regen.
    Ein scharfes Knacken aus dem Unterholz weckte ihre Aufmerksamkeit. Ihre Sinne richteten sich instinktiv auf das Geräusch. Während ihre Blicke das Gebüsch vor ihr abtasteten, prüfte ihre Nase die Windrichtung. Der Wind kam ihr entgegen und roch trocken. Also drohte keine unmittelbare Gefahr durch Raubtiere. Weder der beißend scharfe Geruch von Löwen noch der moschusartige ätzende Gestank eines Leoparden stiegen ihr in die Nase. Vorsichtig schlich sie näher, um den Ursprung des Geräuschs zu erkunden. Als sie bis auf zwei Schritte herangekommen war, krachte es nochmals, und ein gelbschwarzer Schabrackenschakal brach unmittelbar vor ihr aus dem Gebüsch. Für einen kurzen Augenblick blieb er stehen, hob seine Lefzen zu einem kurzen knurrigen
Drohen und trollte sich dann unwillig. Offensichtlich hatte sie ihn in seinem Mittagsschlaf gestört. Das Joansi-Mädchen lachte erleichtert auf. Die Kalahari bot immer wieder Überraschungen. Auf den ersten Blick sah der karge, struppige Bewuchs der Wüste wie ein undurchdringliches Dickicht ohne jede Orientierungsmöglichkeit aus. Die armdicken, kahlen Äste und Zweige der Kameldornbüsche bildeten mit ihren fingerlangen Dornen eine natürliche Wand. Und doch gedieh in dieser lebensfeindlichen Umgebung allerlei Leben. Springböcke, Ducker und auch die kleinen, grazilen Steinböcke mit ihren schwarzen Kulleraugen liebten den Schutz, den ihnen die messerscharfen Dornen boten. Mit ihren Hufen hoben sie am Fuße der Büsche kleine Gruben aus, um dort ihre Jungen zur Welt zu bringen.
    Nakeshi ging weiter. Geschickt und schnell bahnte sie sich einen Weg durch das Gebüsch, ohne ernsthaft mit den Dornen in Berührung zu kommen. Während sie
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