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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Autoren: Patricia Mennen
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Augen neigte sie ihren Kopf nach unten. Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie schließlich die Augen öffnete.
    Es war, wie sie befürchtet hatte. Das warme Etwas war Blut!
Es floss in feinen Schlangenlinien entlang den Innenseiten ihrer Schenkel bis zu ihren Knien, um von dort in den Sand zu tropfen. Vor Enttäuschung stieß sie einen lauten klagenden Schrei aus. Sie erschrak selbst über ihren unkontrollierten Gefühlsausbruch und hielt sich beide Hände vor den Mund. Schlagartig war ihr die Tragweite dieses Ereignisses bewusst geworden. Mit dem Blut, das aus ihrem Schoß tropfte, war das Ende ihrer Kindheit gekommen! Das Ende ihrer Freiheit! Tränen der Verzweiflung und Wut rannen über ihr Gesicht. Nakeshi gab sich ihrer Enttäuschung hin. Doch dann riss sie sich zusammen. Es hatte keinen Sinn, sich länger gegen das Unvermeidliche aufzulehnen. Es war der Wille Kauhas, des großen Erdschöpfers. Wie alle Joansi-Frauen würde sie nun das Ritual der Frauwerdung stumm über sich ergehen lassen müssen.
     
    Mit hängendem Kopf machte sich Nakeshi auf den Heimweg. Je näher sie dem Lager ihrer Leute kam, umso schwerer wurde ihr Herz. Das Lager der Joansi lag unter einer großen Schirmakazie, deren Äste sich schützend wie ein Dach über eine von Rosinenbüschen eingegrenzte Lichtung breiteten. Selbst im Winter, wenn nur wenige Blätter an den Zweigen hingen, spendete der Baum genügend Schatten, um die heiße Zeit überstehen zu können. Rund um die Lichtung standen einfache Unterstände, die aus losen Zweigen und Ästen zusammengefügt waren. Die Zwischenräume hatte man mit langem, gelbem Buschgras ausgestopft. Die Behausungen waren gerade groß genug, dass sich darin zwei bis drei Buschmänner eng aneinanderkuscheln konnten. Doch das kam nur vor, wenn ein Sandsturm oder ein heftiger Regenschauer über sie hereinbrach oder wenn ein Paar ungestört Liebe machen wollte. Normalerweise blieben die Hütten leer, denn die Joansi schliefen lieber in der Nähe des wärmenden Feuers. Dieses Lager unter der Schirmakazie gehörte zu den Lieblingsplätzen von Nakeshis Gruppe. Sie kamen immer wieder gern hierher zurück. Es
gab ausreichend Wasserknollen, und nur eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt war sogar eine im Sand verborgene Wasserstelle. Solange sie Wasser führte, gab es keinen Grund, sich ein anderes Zuhause zu suchen.
    Wie es die Sitten ihres Volkes verlangten, blieb Nakeshi in Blickweite des Dorfes stehen und kauerte sich auf den Boden. Sorgfältig achtete sie darauf, dass der Vorder- und Hinterschurz um ihre Hüfte sowie der weiche Lederumhang, den sie trug, sie von Kopf bis Fuß bedeckten. Eingehüllt in Leder, auf den ersten Blick kaum von einem großen Stein zu unterscheiden, wartete sie geduldig, bis eine der Frauen sie entdecken würde. Jeder Mann würde bei ihrem Anblick schnell das Weite suchen, denn es brachte ihnen Unglück, ein Mädchen bei seiner ersten Blutung anzusehen. Abgeschirmt von der Außenwelt nahm sie die Geräusche um sich herum umso deutlicher wahr. Das Zirpen und Schnarren mancherlei Insekten, den heiseren Schrei eines Raubvogels und das Rascheln von Gras, wenn sich kleine Nagetiere um sie herum bewegten. Mit der einsetzenden Dunkelheit wachten die Menschen des Buschmannlagers aus der Lethargie des heißen Tages auf. Die Frauen kamen vom Sammeln der Feldkost zurück, Kinder tobten in wildem Spiel über den Lagerplatz, und das aufgeregte Palaver einiger Männer zeigte an, dass sie bei ihrer Jagd erfolgreich gewesen waren. Dennoch schien ihr die Zeit unendlich lang, bevor sie endlich entdeckt wurde. Ausgerechnet ihre Mutter Chuka und deren Schwester Goshi waren als Erste bei ihr. An der Art, wie Nakeshi auf dem Boden kauerte, erkannten sie sofort, was los war. Chuka klatschte begeistert in die Hände. Sofort fiel sie mit Goshi in den laut jubelnden »Ey-ei-ey-ei-ey-ei«-Gesang ein, der seit alters ein lange herbeigesehntes Fest ankündigte. Ihre Mutter hatte sich schon so lange auf diesen Augenblick gefreut. Seit vielen Monden wartete sie ungeduldig darauf, dass ihre Tochter endlich das Ritual der Frauwerdung erleben durfte. Weil sie schon
gezweifelt hatte, ob mit ihr alles in Ordnung war, wollte sie nun ganz sichergehen. Sie hob Nakeshis Lederumhang leicht an. Was sie sah, befriedigte sie. Das angetrocknete Blut zwischen den Beinen ihrer Tochter bestätigte alles, was sie wissen wollte. Zärtlich strich sie ihr über den Kopf, bevor sie mit Goshi ins Dorf eilte, um die anderen Frauen
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