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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel
Autoren: Sebastian Fitzek
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Therapeut!«, wiederholte Ira wie in Trance und blätterte dabei wieder in den Seiten des Briefes. »Was glauben Sie denn, warum ich Herzberg abgelehnt habe und von Anfang an nur mit der berühmten Ira Samin verhandeln wollte?«, erhob Jan seine Stimme. »Nach Saras Tod habe ich ihr Schicksal über die Medien verfolgt, Ira. Sie haben das Gleiche durchlitten wie ich. Auch sie verloren einen geliebten Menschen, ohne das >Warum< zu kennen. Ich wusste, Sie würden mich verstehen. Mit mir reden. Sie gelten als die Beste. Sie lassen nur stürmen, wenn es nicht mehr geht. Genau das brauchte ich. Eine Verbündete auf der anderen Seite. Jemanden, der mir Zeit verschaffte. Ich brauchte Sie.«
    »Aber, aber ...« Sie hob den Kopf und ignorierte die dicke Haarsträhne, die ihr in die Stirn gefallen war. ». kannten Sie dann etwa auch Katharina?« Jan nickte wieder.
    »Sara hat viel über ihre kleine Schwester Kitty gesprochen. Und wenn man es genau nimmt, hat sie mich erst auf die Idee mit der Geiselnahme im Sender gebracht. Zuerst plante ich ja, einen lokalen Fernsehsender zu besetzen. Ein TV-Studio entpuppte sich jedoch als völlig ungeeignet für meine Zwecke. Zu viele Menschen. Keine abgeschlossenen Räume. Da erinnerte ich mich an Saras Gespräche über Kitty. Sie hatte in einer Sitzung erwähnt, wie sehr sich ihre Schwester ein Volontariat bei 101 Punkt5 wünschte, und da kam mir die Idee. Eine Radiostation ist kaum gesichert. Niemand rechnet hier mit einem Terroranschlag.«
    »Sie wussten also die ganze Zeit, dass sich meine Tochter unter der Spüle versteckte?« Ira war wieder auf den Beinen.
    Jan schüttelte energisch den Kopf.
    »Das war keine Absicht, nur ein unglücklicher Zufall. Aber dummerweise ging sie in die Kaffeeküche, während ich kurz vor dem Gang ins Studio nochmals auf der Toi-lette war. Als ich den Sender kaperte und Kitty sich nicht unter den Geiseln befand, vermutete ich sie allerdings im Nebenraum.«
    »Sie haben alle belogen!«
    »Nein. Nicht alle. Sie haben mich doch damals gefragt, ob ich Kitty etwas antun wollte. Die Antwort lautet: Nein. Ich hab sie nur als Augenzeugin benutzt, damit alles echt aussieht. Ich habe Kitty sogar wissentlich das Funkgerät von Stuck gelassen, damit sie Kontakt zu Ihnen aufnehmen konnte, Ira. Sie bestätigte einen Mord, der nie stattgefunden hat. Erst als sie kurz davorstand zu entdecken, dass Stuck noch lebte, musste ich einschreiten.«
    »Sie haben mich benutzt«, stellte Ira erneut fest und stand auf. Mit zwei Schritten war sie an der Tür und schlug mit der flachen Hand dagegen. »Sie sind keinen Deut besser als Götz.« Die natogrüne Stahltür wurde von außen entriegelt. »Denken Sie über mich, was Sie wollen. Aber lesen Sie den Brief«, sagte Jan, während Ira schon halb entschwunden war. Sie blickte nicht zurück. »Lesen Sie ihn.«
    Das war das Letzte, was sie von ihm hörte. Der Polizistin hatte die Stahltür hinter ihr bereits wieder ins Schloss gedrückt.

Epilog
    N atürlich tat sie es. Noch am selben Abend. Sie las. Es waren zwei Blätter. Graues Umweltpapier. Beidseitig beschrieben. Nach den ersten beiden Worten brauchte Ira eine halbstündige Pause, um sich im Bad zu übergeben. Dann hatte sie sich wieder im Griff. Etwas besser zumindest. Sie setzte sich zurück an den alten Esstisch und erteilte ihren Augen stumme Befehle. Eine weitere Viertelstunde später gehorchten ihr die Pupillen wieder, und sie konnte endlich weiterlesen.
    Mein Testament
    Liebe Mama, liebste Kitty, sehr geehrter Herr Dr. May,
    wenn Ihr diese Zeilen in Händen haltet, werde ich nicht mehr bei Euch sein. Ich schreibe einen offenen Brief, weil Ihr vermutlich alle nach meinem Tod etwas gemeinsam haben werdet: Schuldgefühle. Jeder von Euch wird denken, er hätte versagt. Als Mutter, als Schwester oder als Therapeut. Du, Mama, machst Dir bestimmt die größten Vorwürfe, wo Du doch Mutter und Psychologin zugleich bist. Deshalb wirst Du auch die Erste sein, die diesen Brief auf der obersten Treppenstufe findet. Ich bin mir sehr sicher, Du hast meine anderen
    Zettel alle ignoriert. Du bist trotz meiner Warnungen weitergegangen und hast mich in der Badewanne gefunden. Nun, der Dickkopf liegt eben in der Familie.
    Ihr anderen werdet mein Testament hoffentlich einen Tag später mit der Post erhalten haben. Aber macht euch keine falschen Hoffnungen. Ich besitze keine kostbaren Güter, die ich Euch vermachen könnte. Nehmt Euch von meinem materiellen Besitz, was Ihr wollt. Ihr werdet Euch
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