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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel
Autoren: Sebastian Fitzek
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Analogmodems bei der Einwahl ins Internet. Dann hörten diese Geräusche so abrupt auf, dass er dachte, die Leitung wäre abgerissen. Er nahm den Hörer vom Ohr und sah auf das grünlich schimmernde Display.
    Aktiv!
    Er riss den Apparat wieder hoch. Gerade noch rechtzeitig, um ein einziges, deutliches Wort zu verstehen, bevor die Kakophonie aus Wind- und Störgeräuschen wieder einsetzte. Ein Wort, an dem er eindeutig erkannte, dass es wirklich Leoni war, die gerade mit ihm sprechen wollte. Dass es ihr nicht gut ging. Und dass es keine Freudentränen waren, unter denen sie die drei Buchstaben herauspresste, die ihn in den kommenden acht Monaten jeden Tag verfolgen würden: »tot«.
    Tot? Er versuchte, dem Ganzen einen Sinn zu geben, indem er sie fragte, ob sie damit sagen wolle, die Verabredung sei gestorben? Gleichzeitig machte sich in ihm ein Gefühl breit, das er sonst nur von Autofahrten in unbekannten Gegenden kannte. Ein Gefühl, das ihn an einer leeren Ampel instinktiv die Fahrertür verriegeln ließ, wenn ein Fußgänger sich seinem Saab näherte. Doch nicht das Baby?
    Es war erst einen Monat her, dass er die leere Verpackung des Schwangerschaftstests im Mülleimer gefunden hatte. Sie hatte es ihm nicht gesagt. Wie immer. Leoni Gregor war das, was er anderen gegenüber liebevoll als »schweigsam« und »geheimnisvoll« beschrieb. Weniger wohlmeinende Menschen würden sie »verschlossen« oder einfach nur »merkwürdig« genannt haben.
    Von außen betrachtet, wirkten er und Leoni auf andere wie ein Paar, das man problemlos für eine dieser Fotos ablichten könnte, die häufig zur Verkaufsförderung als Attrappe in neuen Fotorahmen steckten. Motiv: »Frischvermähltes Glück«. Sie, die sanfte Schönheit mit rohrzu-ckerbraunem Teint und dunkel gelockten Haaren, daneben der jungenhafte Mittdreißiger mit der etwas zu korrekt geschnittenen Frisur, in dessen humorvollen Augen ein Funke Ungläubigkeit darüber aufzublitzen schien, eine so gutaussehende Frau an seiner Seite zu haben. Äußerlich harmonierten sie. Aber charakterlich trennten sie Welten.
    Während er ihr bereits beim ersten Date sein gesamtes Leben offenbarte, gab Leoni kaum das Nötigste von sich preis. Nur, dass sie noch nicht lange in Berlin lebte, in Südafrika aufgewachsen und ihre Familie dort bei einem Brand in einer Chemiefabrik ums Leben gekommen war. Davon abgesehen, präsentierte sich ihm ihre Vergangenheit wie ein zerfleddertes Tagebuch mit losen Seiten. Einige Blätter waren flüchtig beschrieben, doch teilweise fehlten ganze Abschnitte. Und wann immer er darauf zu sprechen kommen wollte - auf die fehlenden Kinderfotos, die nicht vorhandene beste Freundin oder die kaum sichtbare Narbe über ihrem linken Jochbein -, wechselte Leoni sofort das Thema oder schüttelte einfach nur leicht den Kopf. Auch wenn daraufhin jedes Mal die Alarmglocken in seinem Kopf schrillten, wusste er, dass diese Geheimniskrämerei ihn nicht davon abhalten würde, Leoni zur Frau zu nehmen.
    »Was willst du mir damit sagen, Süße?« Er nahm den Hörer ans andere Ohr. »Leoni, ich verstehe dich nicht. Was tut dir denn leid? Was ist >nie mehr    »Pass auf, Liebling. Die Leitung ist so mies - wenn du mich jetzt hörst - dann leg bitte auf. Ich ruf dich gleich wieder an. Vielleicht ist ja dann ...«
    »Nein, nicht! NICHT!«
    Die Verbindung war plötzlich glasklar.
    »Na endlich.«, lachte er kurz, stockte dann aber. »Du klingst komisch. Weinst du?«
    »Ja. Ich habe geweint, aber das ist nicht wichtig. Hör mir einfach zu. Bitte.«
    »Ist etwas passiert?«
    »Ja. Aber du darfst ihnen nichts glauben!«
    »Wie bitte?«
    »Glaub nicht, was sie dir sagen. Okay? Egal, was es ist. Du musst dir ...« Der Rest des Satzes ging wieder in einem knarrenden Störgeräusch unter. Gleich darauf zuckte er erschreckt zusammen, drehte sich ruckartig um und sah zur Eingangstür. »Leoni? Bist du das?«
    Er sprach gleichzeitig in den Hörer und in Richtung Tür, an der es laut und kräftig geklopft hatte. Jetzt hoffte er im Stillen, seine Freundin würde endlich davorstehen und der schlechte Empfang hätte nur am Fahrstuhl gelegen. Sicher. Das würde Sinn ergeben. »Es tut mir leid, Schatz, ich komme zu spät. Berufsverkehr, die Route nehme ich nie wieder. Bin völlig tot.«
    Aber was soll ich nicht
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