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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel
Autoren: Sebastian Fitzek
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verschluckte. Wenn das mal kein Zeichen ist. Ira stand auf.
    Also schön. Dann eben die Tabletten. Aber die wollte sie nicht mit dem billigen Wodka von der Tankstelle hinunterspülen. Das Letzte, was sie im Leben genoss, sollte ein Gesöff sein, das sie wegen des Geschmacks und nicht nur wegen seiner Wirkung in sich reinkippte. Eine Cola light. Am besten die neue mit Zitronengeschmack.
    Genau. Das war eine gute Henkersmahlzeit. Eine Cola light Lemon und eine Überdosis Digoxin zum Nachtisch. Sie ging in den Flur, griff sich ihre Haustürschlüssel und warf einen Blick in den großen Wandspiegel, an dessen linker oberer Ecke bereits die Beschichtung vom Glas abblätterte.
    Schlimm, wie du aussiehst, dachte sie. Heruntergekommen. Wie eine ungekämmte Allergikerin, deren Augen vom Heuschnupfen feuerrot und aufgequollen sind. Egal. Sie wollte keinen Schönheitspreis mehr gewinnen. Nicht heute. Nicht an ihrem letzten Tag. Sie nahm ihre abgewetzte schwarze Lederjacke vom Haken, die sie früher so gerne zu engen Jeans getragen hatte. Wenn man sie genau ansah, konnte man trotz der tiefen dunklen Augenringe erahnen, dass sie einmal für den Jahreskalender der Polizei hatte posieren dürfen. Damals, in einem anderen Leben. Als ihre Fingernägel noch gefeilt und die hohen Wangenknochen dezent geschminkt waren. Heute versteckte sie ihre Füße in halbhohen LeinenTurnschuhen und die schlanken Beine in einer blassgrünen, ausgeleierten Cargo-Hose. Sie ging schon seit Monaten nicht mehr zum Friseur, aber ihr langes, schwarzes Haar wies noch keine einzige graue Strähne auf, und die geraden Zähne waren schneeweiß, trotz der unzähligen Tassen schwarzen Kaffees, die sie täglich in sich reinkippte. Überhaupt hatte ihre Arbeit als Kriminalpsychologin, bei der sie als Verhandlerin einige der gefährlichsten SEK-Einsätze der Republik durchgestanden hatte, nur wenig äußerlich sichtbare Schäden nach sich gezogen. Ihre einzige Narbe verlief kaum sichtbar knapp zehn Zentimeter unter ihrem Bauchnabel. Kaiserschnitt. Sie verdankte sie ihrer Tochter Sara. Ihrer Erstgeborenen. Vielleicht war es auch ihr Glück, dass Ira nie mit dem Rauchen angefangen hatte und sich deshalb eine faltenfreie Haut bewahrte. Oder ihr Pech, weil sie stattdessen der Ersatzdroge Alkohol verfallen war. Doch damit ist jetzt Schluss, dachte sie sarkastisch. Mein Mentor wäre stolz auf mich. Ab sofort werde ich keinen Schluck mehr trinken und es sogar durchhalten. Denn jetzt gibt es nur noch Cola light. Vielleicht sogar mit Zitrone, wenn Hakan dieses Getränk führt. Sie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und atmete den typischen Geruch von Reinigungsmitteln, Straßen-staub und Küchendüften ein, den Berliner Altbau-Treppenhäuser regelmäßig verströmen. Ähnlich intensiv wie das Gemisch aus Dreck, Zigarettenqualm und Schmieröl, der einem aus U-Bahnhöfen entgegenschlägt. Das werde ich vermissen, dachte Ira. Viel ist es nicht, aber die Gerüche werden mir fehlen.
    Sie hatte keine Angst. Nicht vor dem Tod. Eher, dass es danach doch noch nicht vorbei sein könnte. Dass die Schmerzen nicht aufhörten, weil das Bild ihrer toten Tochter sie auch nach dem letzten Herzschlag noch verfolgte. Das Bild von Sara.
    Ira ignorierte ihren überquellenden Aluminiumbriefkasten im Hausflur und trat fröstelnd in die warme Frühlingssonne. Sie zog ihr Portemonnaie hervor, nahm das letzte Geld heraus und warf die Brieftasche in einen offenen Baucontainer am Straßenrand. Mitsamt Ausweis, Führerschein, Kreditkarten und dem Fahrzeugschein für ihren altersschwachen Alfa. In wenigen Minuten würde sie das alles nicht mehr benötigen.

2.
    »Herzlich willkommen zu Ihrer Führung durch Berlins erfolgreichste Radiostation: 101Punkt5.«
    Die zierliche Volontärin zupfte nervös an einer Falte ihres Jeansrocks, pustete sich eine blonde Strähne aus der Stirn und begrüßte lächelnd die Besuchergruppe, die fünf Stufen weiter unten erwartungsvoll zu ihr hinaufsah. Ihr scheues Lächeln entblößte eine kleine Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen. »Ich bin Kitty und das unterste Glied in der Nahrungskette hier im Sender«, scherzte sie passend zu ihrem figurbetonten T-Shirt mit dem Aufdruck »Miss Erfolg«. Sie erläuterte, was die Hörerclubmitglieder in den kommenden zwanzig Minuten alles erleben sollten. ». und zum krönenden Abschluss werden Sie dann Markus Timber und das Team seiner Morgensendung im Studio persönlich kennen lernen. Markus ist mit seinen
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