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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel
Autoren: Sebastian Fitzek
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zweiundzwanzig Jahren nicht nur der jüngste, sondern auch der erfolgreichste Moderator der Stadt, seitdem er bei 101Punkt5 vor anderthalb Jahren auf Sendung ging.« Jan May verlagerte das Gewicht auf seinen Alukrücken, bückte sich zu der Aldi-Tüte am Boden, in der er die zusammengewickelten Leichensäcke und die Ersatzmunition verstaut hatte. Dabei musterte er verächtlich die begeisterten Gesichter der Gruppenmitglieder. Eine kindliche Frau neben ihm mit bunt bemalten Krallenfingernägeln trug ein billiges Kaufhauskostüm, das sicherlich zu den besten Stücken in ihrem Kleiderschrank zählte. Ihr Freund hatte sich für die Führung ebenfalls herausgeputzt und war in einer gebügelten Bundfaltenjeans erschienen, die er zu neuen Turnschuhen trug. Plattenbau-Couture, dachte Jan abfällig.
    Neben dem Pärchen stand ein speckiger Buchhaltertyp mit hufeisenförmigem Haarkranz und aufgeschwemmtem Bürobauch, der sich die letzten fünf Minuten mit einer rothaarigen Frau unterhalten hatte, die sich ganz offen-sichtlich in anderen Umständen befand. Momentan telefonierte die Schwangere etwas abseits von der Gruppe hinter einem überdimensionalen Pappaufsteller, der den dümmlich grinsenden Star-Moderator in Lebensgröße zeigte.
    Siebenter Monat, schätzte Jan. Wahrscheinlich sogar schon weiter. Gut, dachte Jan. Alles in bester Ordnung. Alles ... Seine Nackenmuskeln verkrampften sich, als sich plötzlich hinter ihm die elektrische Empfangstür öffnete. »Ah, da kommt ja unser Nachzügler«, begrüßte Kitty den kräftigen Paketzusteller lächelnd, der der Volontärin missmutig zunickte, als trüge sie die Schuld an seiner Verspätung.
    Verdammt. Jan überlegte fieberhaft, welchen Fehler er gemacht haben könnte. Der Kerl in der braunen, uniformierten Arbeitskleidung stand nicht auf der Liste der Hörerclubgewinner. Er war entweder direkt von der Arbeit gekommen oder wollte den Rundgang noch vor der Frühschicht erledigen. Jan fuhr nervös mit seiner Zunge über seine Zahnattrappe, die sowohl sein Gesicht als auch seine Stimme komplett entstellte. Dann rief er sich die Grundregel ins Gedächtnis, die sie bei ihren Vorbereitungen immer wiederholt hatten: »Es passiert stets etwas Unerwartetes.« Manchmal sogar in den ersten Minuten. Mist. Nicht nur, dass er über den Mann keine Informationen besaß. Der bärtige UPS-Bote mit den lieblos zurückgegelten Haaren sah zudem noch verdammt nach Ärger aus. Entweder sein Oberhemd war in der Wäsche eingelaufen, oder er hatte sich an einer Hantelbank aus ihr heraustrainiert. Jan wog kurz ab, ob er alles abbrechen sollte. Doch dann verwarf er den Gedanken. Dazu waren die Vorbereitungen zu intensiv gewesen. Nein! Jetzt gab es kein Zurück mehr, auch wenn das fünfte Opfer so nicht einkalkuliert war.
    Jan wischte sich seine Hände an dem fleckigen Sweatshirt mit der eingenähten Bierbauchattrappe ab. Er schwitzte, seitdem er vor zehn Minuten im Fahrstuhl seine Verkleidung angelegt hatte.
    »... und Sie sind der Herr Martin Kubichek?«, hörte er, wie Kitty seinen Tarnnamen laut von der Besucherliste ablas. Offensichtlich musste sich jeder der Truppe hier erst mal vorstellen, bevor's endlich losging. »Ja, und ihr solltet mal eure Behinderteneinrichtungen überprüfen, bevor ihr Gäste einladet«, spie er ihr als Antwort entgegen und humpelte auf die Stufen zu. »Wie soll ich denn die Dreckstreppe hier hochkommen?«
    »Oh!« Kittys Zahnlückenlächeln wurde noch unsicherer. »Sie haben Recht. Wir wussten nicht, dass Sie, äh .« Ihr wisst auch nicht, dass ich zwei Kilo Plastiksprengstoff an meinem Körper trage, fügte er in Gedanken hinzu. Der UPS-Fahrer sah ihn verächtlich an, trat aber einen Schritt zur Seite, als Jan unbeholfen nach vorne humpelte. Das Pärchen und der Büromensch taten einfach so, als ob sein beleidigendes Auftreten mit seiner Behinderung zu entschuldigen sei.
    Herrlich, dachte Jan. Zieh dir einen billigen Trainingsanzug an, schnapp dir eine ungepflegte Proletenperücke, und führ dich einfach auf wie ein Irrer - sofort bekommst du alles, was du willst. Selbst Zugang zum erfolgreichsten Radiosender Berlins.
    Die Besucher folgten ihm langsam die schmalen Stufen nach oben.
    Kitty ging allen voran in Richtung der Redaktionsräume und Studios.
    »Nein, mein Liebling. Ich hab's doch versprochen, ich frag ihn. Ja, ich liebe dich auch ganz dolle ...« Die rothaarige Schwangere eilte als Letzte hinterher und entschuldigte sich, während sie ihr Handy in die Hosentasche
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