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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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noch weiter dehnte. Natürlich war er Soldat gewesen, natürlich hatte es ihn in den Irak verschlagen. Das wusste jeder an Bord, und so gesehen wusste Kinga nicht mehr als jeder andere. Sie aber war es, die ihn nichts vergessen ließ, niemals, ihn triezte, schikanierte und fortwährend bestrafte – als gäbe es nicht schon genug Streit, um die Pfandleihe, um das Geld, um die Liebe. Wer wäre da nicht wahnsinnig geworden?
    Erst als es schon zu spät war, Bartosz am Boden und Renia in Tränen aufgelöst, baute sich Bronka vor Kingaauf und fragte, was um alles in der Welt geschehen sei. Kinga zuckte lediglich mit den Schultern, und neben dem Anschwellen der Zornesader auf ihrer Stirn sollte das ihr einziger Kommentar zum Geschehen bleiben.
     
    Keine zwei Stunden vorher, als das Boot im Yachthafen ablegte, hatte man sich noch freundlich begrüßt und miteinander angestoßen. Zu der kleinen Feier hatte man, neben Kinga, ebenfalls einige Freunde der Familie eingeladen. An diesem Tag, so hatte Bronka entschieden, sollte aller Streit um die Pfandleihe, und worüber man sich sonst noch stritt (Bronka konnte sehr diskret sein, wenn sie wollte), beigelegt werden.
    Nach kurzer Zeit glitt das Segelboot vorbei an den letzten Ausläufern der Wiesen und Birkenwäldchen, ab und zu waren von Deck aus auch ein zerfleddertes Sofa oder ein paar Plastiktüten zu sehen, die sich so geschickt um eine junge Birke geschlungen hatten, dass es aussah, als hätte sich jemand ein Zelt gebaut. Ein paar Möwen machten sich daran zu schaffen und rissen mit ihren gelben Schnäbeln die Henkel der Tüten heraus. Das langsam vorbeiziehende Boot irritierte sie dabei kein bisschen, sie blinzelten nur kurz und stoben auf, als Kröger ihnen in einem unbemerkten Moment einen Heringshappen zuwarf. Das Schiff fuhr so gemächlich, dass die Möwen nur die Hälse etwas zu recken brauchten, um den Happen aufzufangen.
    Auf jene Langsamkeit wurde höchsten Wert gelegt: den Motor wollte man ausgeschaltet lassen, sonst sei man ja genauso wie das Piratenschiff, das jeden Tag Touristen den Fluss hoch- und runterfuhr – dank eines geschickt kaschierten Motors.
    Wir haben doch jede Menge Zeit, hatte Bronka während des Ablegens gesagt, und betrachtete man das Buffet, das sie mitgebracht hatte, konnte man davon ausgehen, dass sie heimlich eine Überfahrt nach Schweden geplant hatte.
    Wenn es nach Tilmann Kröger gegangen wäre, hätte man in der Gegend um den Yachthafen bleiben können. Alle Flussmündungen und skandinavischen Länder dieser Welt konnten ihm gestohlen bleiben, wenn es doch eine Innenstadt wie diese gab, mit bemerkenswerten Fassaden und solch einem Panorama, dazu die neidischen Blicke der Passanten; aber natürlich enthielt er sich jeder Meinung und war froh, überhaupt eingeladen worden zu sein, obwohl er nicht genau wusste, ob es Bartosz oder sein Vater gewesen war, der ihn eingeladen hatte. Vielleicht, mutmaßte er, sollte er auch als Unterhaltung für Kinga dienen: Alles war möglich.
    Auf Brunons Wunsch hin wurde an Bord leise polnischer Jazz gespielt, was allgemeine Zustimmung fand. Nachdem die Gäste mehrere Schüsseln mit Kartoffelsalat und Heringsstücken vertilgt hatten und man etwa ein Dutzend Mal Lieder zu Ehren Kingas und Brunons gesungen hatte, war man ermattet auf die Bänke gesunken und erholte sich bei einem Glas Sommerbowle. Die Damen, darunter Albina und Renia, hatten ein Plätzchen gefunden, wo sie sich sonnen konnten, und die Herren, vor allem Bartosz’ Kameraden, waren damit beschäftigt, sich hinter ihren Sonnenbrillen zu verbarrikadieren und unbeeindruckt zu tun. Kingas Schweigsamkeit war niemandem aufgefallen, erst im Nachhinein erinnerte man sich daran und fragte sich, ob sich darin wohl schon etwas angekündigt hatte, ob es die ganze Zeit über bereits in ihrem Kopf gebrodelt haben mochte, aber das warennichts als Spekulationen. Genug zum Grübeln gab es natürlich – der Streit um das verspielte Geld im Casino, auch wenn Kinga hartnäckig behauptete, ein gewisser Rokas hätte sie betrogen und sich mit dem Geld nach Litauen abgesetzt. Jedem war klar, dass es sich dabei um eine Notlüge handeln müsse, eine faule Ausrede, aber Kinga ließ sich in ihrer Version nicht beirren. Und dann Bartosz’ gemeinsamer Auftritt mit Renia …
     
    Bis auf Kröger hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Gäste zu unterhalten: Bartosz stand im Heck, als ob er gar nicht dazugehörte, als sei er im Moment des Ablegens versehentlich auf das
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